PNN 6.5.14
Eine Frage des Willens: In Kleinmachnow begann die autofreie Schulwoche. Das Projekt soll landesweit Nachahmer finden
Kleinmachnow - Erziehung? Die kann Brigitte Müller. Auch bei Erwachsenen. Schwungvoll hebt die pensionierte Hortleiterin am Montagmorgen ihre Kelle in die Höhe, stellt sich auf dem Kleinmachnower Seeberg frech vor ein Auto und blickt den Fahrer streng an. In ihrer grellgelben Warnjacke macht die Verkehrshelferin so den Weg für Schüler frei. „Es gibt Fahrer, die nicht hören wollen“, so Müller. „Aber die werden es auch noch lernen.“ Das gilt besonders diese Woche.
Noch bis Freitag haben Kleinmachnows Grundschüler autofrei. Alle fünf Grundschulen haben Eltern aufgerufen, ihre Kinder in dieser Woche nicht mit dem Auto zu bringen. Sie sollen das Fahrrad nutzen oder laufen. Dafür wird ein Begleitservice angeboten: Ältere Schüler nehmen kleinere an Treffpunkten in Empfang und bringen sie sicher ans Ziel.
Was in Kleinmachnow seit drei Jahren im Mai Schule macht, könnte bald ganz Brandenburg als Vorbild dienen: „Wir können uns vorstellen, das landesweit zu machen“, sagte Stephan Breiding, Sprecher des Brandenburgischen Bildungsministeriums, den PNN. Besonders in städtisch geprägten Regionen wie Teltow oder Werder (Havel) könnten Kommunen und Schulen öfter an Eltern appellieren, für den Schulweg der Kinder umweltverträgliche Alternativen zu nutzen, statt den bequemsten Weg zu wählen. „Mit einer autofreien Woche kann man Eltern zum Nachdenken bringen und Kinder ermuntern, den Schulweg selbst zu gehen“, sagte Breiding. „Es gibt nicht immer Alternativen zum Auto, aber öfter als man denkt.“
Organisiert wurde die autofreie Woche in Kleinmachnow mit der Gruppe „Lokale Agenda Verkehr“. „Wir setzen uns seit Jahren dafür ein, dass die Kleinmachnower kurze Strecken zu Fuß oder per Rad erledigen“, sagt Sprecher Peter Sahlmann. Vor drei Jahren hatte die Waldorfschule mit der autofreien Woche den Anfang gemacht, seit zwei Jahren sind alle anderen Grundschulen dabei. Lediglich die Internationale Schule BBIS auf dem Seeberg hat diesmal verzichtet, da ihr Einzugsbereich mit bis zu 25 Kilometern größer sei als der anderer Schulen im Ort.
So sind auf dem Seeberg an diesem Morgen vor allem Autos unterwegs, die zur Internationalen Schule brausen. Aber auch vor der Grundschule „Auf dem Seeberg“ und an der Waldorfschule halten einige Wagen. „Noch ist die Botschaft nicht bei allen Eltern angekommen“, sagt Verkehrshelferin Brigitte Müller. Trotzdem seien weniger Autos zu sehen.
An normalen Tagen drängelten sich rund 550 Autos zu dem Schulgebiet hinter dem Rathaus hinauf, sagt Müller. So viel hat sie schon gezählt. Etwa 300 fahren zur Internationalen Schule. Würde die ehemalige Erzieherin nicht jeden Morgen ihre Verkehrskelle in die Höhe halten, hätten die Schüler kaum eine Chance, die Straße zu queren. Zu dicht sei die Autokolonne.
Auch vor den Grundschulen drängeln sich an Schulmorgenden die Autos, sagt Peter Sahlmann. Dazwischen radeln und laufen Schüler kreuz und quer. Unfälle zu vermeiden war Ausgangspunkt für die Aktionswoche. „Es sind einzig und allein Eltern, die überzeugt werden müssen“, sagt Sahlmann. Die Kinder selbst würden den Schulweg zu Fuß oder mit dem Rad oft genießen, die frische Luft und die Gespräche mit den Freunden. „Es ist eine Frage des Willens.“ Sahlmann weiß aber auch, dass die Morgen für viele Familien stressig und zeitlich eng sind.
Deshalb hat die Waldorfschule den Druck auf Eltern erhöht, ihre autofreien Morgen besser zu planen: So wurde der Parkplatz an der Schule gesperrt und die Aktion auf den kompletten Mai erweitert, sagt Geschäftsführerin Katrin Falbe. „Wir sind zwar radikal, trotzdem nehmen unsere Eltern die Aktion gut an.“ Ohnehin seien fast 70 Prozent der rund 400 Schüler mit dem Rad unterwegs. Auch die übrigen sollen daran erinnert werden, dass die Temperaturen im Mai gestiegen sind und die Kinder den Schulweg bequem per Rad erledigen können.
„Leider ist nicht immer Sommer“, sagt Agendasprecher Sahlmann. Zwar konnte er im vergangenen Jahr eine positive Bilanz der Aktionswoche ziehen – 15 Prozent der Eltern verzichteten anschließend dauerhaft darauf, ihre Kinder mit dem Auto zu bringen. „Trotzdem wünsche ich mir, dass das Projekt nachhaltiger wirkt.“
Das wünscht sich auch Brigitte Müller. Nach einer Stunde kann die Verkehrshelferin die Kelle einpacken. „Ich gehe jetzt frühstücken“, so Müller. Morgen wird sie wieder Autofahrer mit strengem Blick empfangen – vielleicht ein paar weniger.
Anlässlich der Aktionswoche bieten ADFC und Verkehrswacht am Freitag auf dem Kleinmachnower Rathausmarkt zwischen 15 und 18 Uhr Radcodierungen und Fahrradchecks an.