PNN 29.4.14

Tastentelefone werden belächelt

von Tobias Reichelt

Weil immer mehr Grundschüler mit ihrem Smartphone im Netz surfen, wird in Kleinmachnow aufgeklärt

Kleinmachnow - Die Fragen kommen aus allen Ecken des Klassenzimmers: „Wie ist das Passwort für das W-Lan?“, „Ich habe nur einen Balken!“, „Kann mir jemand ein Ladekabel leihen?“. Hilflos steht Medienpädagoge Michael Lange im Trubel der Kleinmachnower Eigenherd-Grundschule. „Ich kann nicht noch mehr Internetzugänge einrichten“, sagt Lange. So viele Schüler mit eigenem Smartphone, Tablet- oder Klappcomputer hatte er nicht erwartet.

Am gestrigen Montag durften die Viert- bis Sechstklässler, was sonst verboten ist: Mit ihren internetfähigen Mobiltelefonen und Computern im Unterricht surfen. Unter dem Motto „Gefahren im Netz“ veranstaltet die Grundschule noch bis zum morgigen Mittwoch drei Projekttage. Gemeinsam sollen Kinder, Eltern und Lehrer von der Medienanstalt Berlin Brandenburg und dem Landesinstitut für Schule und Medien über Fluch und Segen der mobilen Technik aufgeklärt werden.

&xnbsp;„Wir haben festgestellt, dass die technische Ausstattung einiger Schüler besser ist, als die der Pädagogen“, erklärt Schulleiter Bernd Bültermann. Nahezu alle Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse hätten ein Handy in der Tasche. Wer eins mit Tasten habe, werde belächelt. Smartphones – handgroße internetfähige Computer mit Telefon und Kamera – seien ab Klasse vier die Regel. Oft sind es alte Geräte der Eltern und oft ahnten die nicht, welche Gefahren die Technik berge: Nummern und Kontakte werden von den Grundschülern im Netz verteilt, Fotos hoch- und runtergeladen, Lösungen für Hausaufgaben verschickt und im Unterricht geschummelt. Je moderner die Handys der Eltern, desto besser die Geräte der Schüler. Machten früher anzügliche Kritzeleien auf dem Schulhof die Runde, seien es jetzt Pornoclips auf dem iPhone der dritten, vierten oder fünften Generation.

„Wir haben hier fast alle ein Smartphone“, sagt Fünftklässlerin Lorena stolz und wischt über ihr iPhone, auf dessen Bildschirm kurz eine bunte Computerspielwelt aufleuchtet. Natürlich dürften sie ihre Mobiltelefone nicht in der Schule nutzen, erklärt ihre Freundin Sophia. Aber da halten sich nicht alle dran. Spätestens am Nachmittag werde mittels Programmen wie „Whats App“ getratscht. Videos, Bilder, Neuigkeiten, Hausaufgaben – alles mögliche wird in der Chat-Gruppe vermeldet.

„Viele Eltern wissen nicht, was ihre Kinder mit den Smartphones machen“, sagt Michael Lange. Für den Verein Metaversa organisiert er die Projekttage an der Schule. Mit praktischen Beispielen wollen er und seine Kollegen sensibilisieren. Gemeinsam sollen Kinder und Eltern Fotos manipulieren, Videos schneiden und sich über Altersbegrenzungen bei Computerspielen informieren. „Es gibt auch Eltern, die übervorsichtig sind“, sagt Lange. Sie fürchteten, ihre Kinder verbringen zu viel Zeit im Netz. Dabei seien dort doch auch etliche Erwachsene inzwischen rund um die Uhr erreichbar.

Die Entwicklung sei rasant und nicht mehr zu stoppen, findet Direktor Bültermann. Vor acht Jahren sei die Handynutzung in der Schule per Hausordnung verboten worden. Erst seit zwei Jahren kann er all seine Lehrerkollegen per E-Mail erreichen – und selbst das bereite einigen Umstände. Die Schüler sind da weiter – wie die Lehrer immer wieder erfahren haben. Vor Klassenarbeiten gehen sie nun mit einer großen Kiste durch die Reihen, um alle Mobiltelefone der Klasse einzusammeln. Statt schriftliche Ausarbeitungen zu einem Thema abzufragen – deren Inhalte aus dem Internet-Lexikon Wikipedia zusammenkopiert wurden – müssen nun freie Vorträge gehalten werden. „Nur mit ein paar Stichpunkten auf dem Zettel“, sagt Bültermann.

Von einem Handyverbot hält der Schulleiter nichts. „Das ist nicht zeitgemäß.“ Zu groß sei das Sicherheitsbedürfnis der Eltern, ihre Kinder erreichen zu können. Die rasante Entwicklung habe aber auch gute Seiten: Viele Grundschüler seien medienaffin, aufgeschlossen und gut informiert. Kinderkanal gucke keiner der Älteren mehr im Fernsehen, stattdessen öfter mal die Tagesschau. Im Geo-Unterricht lässt Bültermann sogar Aufsätze über die Ukraine-Krise schreiben. „Die Kinder können den Konflikt in wenigen Sätzen darstellen, zwar mit einer grausamen Rechtschreibung, aber sie können es.“