PNN 17.2.2014

Der Kampf gegen das Vergessen

von Eva Schmid

Biografiearbeit steht im Vordergrund bei der Betreuung von Demenzpatienten in Kleinmachnow

Kleinmachnow – Es sieht aus wie im Wohnzimmer der Großeltern: eine lange Schrankwand aus dunklem Holz, daneben eine alte Nähmaschine. Gegenüber eine schmale Standuhr. Auch ein altes Radio mit zwei Drehknöpfen gibt es. Und auch der Geruch, leicht süßlich und schwer, ist authentisch. Ein Zimmer zum Erinnern. Auf der Demenzstation, die im Kleinmachnower Seniorenheim Senvital „Wohnwelt Demenz“ heißt, dreht sich alles um alte Zeiten. Biografiearbeit sagen die Pflegefachkräfte dazu.

Seit fast einem Jahr werden in der Kleinmachnower Förster-Funke-Allee an Demenz erkrankte Patienten betreut, die Nachfrage nach dem Angebot ist groß. „Wir haben schon seit Beginn doppelt so viele Anfragen, wie wir Gäste aufnehmen können“, sagt Einrichtungsleiterin Nicole Schulz. 20 Gäste, wie sie die Bewohner des Seniorenheims in Kleinmachnow nennen, hätten Platz. „So spezielle Konzepte wie hier gibt es noch zu wenige“, sagt Schulz. Mit speziell meint sie, dass innerhalb von Pflegeheimen Extra-Bereiche für Menschen mit Demenz bestehen.

Wie viele derartige Angebote es im Landkreis gibt, prüft derzeit Martina Alband. Sie leitet das Netzwerk „Aktion Demenz PM“ im Landkreis. Generell würden in allen Seniorenwohnheimen auch Demenzpatienten aufgenommen. „Und überall gibt es Wartelisten, selbst die ambulanten Pflegedienste sind absolut ausgelastet“, so Alband. Klar ist, dass das bisherige Angebot, egal ob Seniorenheim oder von Angehörigen organisierte Senioren-Wohngemeinschaft, nicht ausreichen wird. Laut den aktuellen Berechnungen des Ministeriums wird in Potsdam-Mittelmark die Zahl der an Demenz Erkrankten bis 2030 um 117 Prozent ansteigen. Damit liegt der Landkreis weit über dem brandenburgischen Durchschnitt, der auf einen Zuwachs von rund 99 Prozent kommt.

Gegen das Vergessen kämpft man in Kleinmachnow mit alltäglichen Dingen an: Knöpfe, Stofftaschentücher, alte Frauenhandtaschen oder eine ausgemusterte Stereoanlage kommen dafür zum Einsatz. „Die Anlage schraubt einer unserer Gäste, der früher Uhrmacher war, auseinander und wieder zusammen“, erzählt die Leiterin der Sozialen Dienste im Senvital, Isabell Friedrich. Das fühle sich für ihn vertraut an. An etwas arbeiten, das er kann, verschaffe ihm Wertschätzung. Und das zahlt sich aus: „Je wohler sich ein Mensch fühlt, umso weniger prägt sich die Demenz aus“, sagt Friedrich.

Regelmäßige Aktivierung stehe auf dem Programm des Pflegepersonals. Das bedeute, auf die Biografie der Demenzpatienten einzugehen, sagt Friedrich. „Durch Wörter oder Dinge versuchen wir Erinnerung zu aktivieren.“ Auch klassische Gerichte wie Kartoffelpuffer oder alte Schlager helfen dabei, Vergangenes wieder ins Gedächtnis zu rufen. „Es ist unglaublich, wie gut das manchmal funktioniert“, sagt die Leiterin der Sozialen Dienste. Sobald der Schlager „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt“ angestimmt werde, seien die Gäste äußerst textsicher. „Und gerührt – da rollen auch mal Tränen“, sagt Friedrich.

Selbst die Ausgangstüren sollen bei der Aktivierung helfen. „Viele Demenzpatienten haben den Drang, nach Hause oder zu ihrem alten Arbeitsplatz zu gehen“, erklärt Einrichtungsleiterin Schulz. Sie hat die Türen daher von einem Zehlendorfer Künstlerpaar bemalen lassen. Von Weitem sind sie nicht mehr als Türen zu erkennen – auf ihnen sind Fenster, die einen Blick ins Grüne freigeben, aufgemalt. Gerade die Motive sollen die Bewohner an vergangene Zeiten erinnern.

Die Biografiearbeit hat ihren Preis: „Für die Arbeit mit Demenzpatienten bräuchte man eigentlich einen doppelt so hohen Betreuungsschlüssel wie für orientierte Senioren“, erklärt Brigitta Neumann von der Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg. Doch den gebe es nicht. Und das Pflegepersonal müsse äußerst geduldig und verständnisvoll sein, auch in Ausnahmesituationen. Wer genervt und hektisch reagiere, übertrage das sofort auf die Demenzpatienten. Das Ergebnis: „Sie lassen sich nicht mehr helfen, oftmals schlägt das in Aggressivität um“, berichtet Neumann.

Insgesamt elf Pflegekräfte kümmern sich im Schichtdienst um die 20 Demenzpatienten im Senvital. Sie sprechen die Bewohner mit Namen an, sprechen in kurzen, klaren Sätzen. Wer ruhelos durch die Gänge streift, wird an die Hand genommen. Dann geht es in die alte Stube. Schon wenige Minuten reichen, um die Bewohner zu beruhigen. Immerhin fühlt es sich dort doch ein bisschen wie zu Hause an.