PNN 3.12.13

"Manches muss einfach gesagt werden"

von Tobias Reichelt

Beobachter im Dienst. Jürgen Lemke hadert mit der Verkehrssicherheit vor den Schulen der Region Teltow. Damit ist er nicht der Einzige. Ehrenamtler der Lokalen Agenda, von Bürgerinitiativen oder runden Tischen melden immer wieder Probleme an.

Eltern fahren zu schnell, Kinder sind unvorsichtig und die Polizei ist so gut wie nie da. Rentner Jürgen Lemke hadert mit der Sicherheit auf Schulwegen – und hält mit dem Thema die Behörden auf Trab

Region Teltow - Da kommt schon die nächste Mutter vorgefahren. Der Wagen hält, die Kinder springen rein und sofort drückt sie wieder aufs Gaspedal. „Ich glaube, viele wissen gar nicht, wie schnell sie in einer verkehrsberuhigten Zone fahren dürfen“, sagt Jürgen Lemke. Kopfschüttelnd blickt er dem Familienvan hinterher. Schrittgeschwindigkeit ist vor der Kleinmachnower Eigenherd-Grundschule erlaubt. Doch kaum ein Fahrer hält sich daran. „Eigentlich dürfte keiner schneller als die laufenden Kinder fahren“, ärgert sich der 65-Jährige.

Eltern, die zu schnell fahren, freihändig radelnde Jugendliche, gefährliche Kreuzungen, gestresste Fahrer und unsinnige Verkehrsschilder – seit der Kleinmachnower Rentner Jürgen Lemke einmal in der Woche den Chauffeur für seine beiden Enkelkinder spielt, steigt in ihm der Blutdruck. Egal ob am Morgen oder am Nachmittag: Vor den Schulen in Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf spielen sich Verkehrsabenteuer ab. Weil sich der frühere Maschinenbauingenieur das Chaos nicht mehr ansehen kann, hält er Behörden und Rathäuser auf Trab. Mit Hinweisen versucht er, auf die Missstände aufmerksam zu machen. „Manches muss einfach gesagt werden“, sagt Lemke.

Der Kleinmachnower Rentner ist nicht der Einzige in der Region Teltow, der für sichere Schulwege kämpft. Zahlreiche Ehrenamtler der Lokalen Agenda, von Bürgerinitiativen oder runden Tischen melden immer wieder Probleme an. Lemke war schon bei fast allen Gruppen zu Gast oder Mitglied, sogar beim Verkehrsclub VCD. Doch überall dort ging es ihm zu langsam voran. Lemke nimmt sein Hobby ernst. So ist er für den Verkehrsverbund Berlin Brandenburg als Beobachter unterwegs, er zeigt Schwachstellen auf, meldet, wenn Busse zu spät kommen.

„Es ist einfach ein Chaos“, sagt Lemke, als er die johlenden Schulkinder vor der Kleinmachnower Grundschule beobachtet. In einem Affenzahn kommt ein Junge mit seinem Rad um die Ecke gerast. Ein Autofahrer hätte kaum reagieren können. Kinder, Eltern, Großeltern – sie alle stünden vor den Schulen unter Dampf. „Kinder begreifen oft nicht, dass solche Situationen für Autofahrer schwierig sind.“ Und Autofahrer seien kaum besser. Rücksicht müsse doch möglich sein.

Dass die Schulwege der Region tatsächlich gefährlich sind, hatten zuletzt auch die Zahlen des Kinderunfallatlas gezeigt: Im Landkreis verunglückten von tausend Kindern jährlich etwa 3,44 Kinder. Besonders gefährdet sind radelnde Kinder und Kinder als Beifahrer im Auto. Versuche der Gemeinden wie Kleinmachnow, das Tempo im Ort zu drosseln oder neue Überwege zu schaffen, werden von der Verkehrsbehörde im Kreis oft blockiert.

Für eine neue Ampel wie die am Zehlendorfer Damm in der Nähe des Weinberg-Gymnasiums musste die Kommune lange verhandeln. Immerhin hat inzwischen auch der Kreis Handlungsbedarf erkannt und für die nächsten drei Jahre jeweils 30 000 Euro Fördergelder in Aussicht gestellt. Damit können zusätzliche Warnsäulen, Markierungen oder Sperrbügel an Schulwegen angebracht werden.

Es dauert nicht lange, da gesellt sich vor der Eigenherd-Schule eine Lehrerin zu Jürgen Lemke. Beim Thema Verkehr verstehen sich die Sportlehrerin und der Hobby-Leichtathlet sofort. „Junge Autofahrer rasen hier schon mal mit Tempo 50 durch die Straße“, erzählt die Frau, und ja, auch viele Eltern rasen. „Erst meckern und dann halten sie sich selbst nicht dran“, sagt sie und Lemke nickt.

Im Frühjahr hatte es in Kleinmachnow die Aktion „Autofreie Schule“ gegeben, auch Teltow machte mit. Statt mit dem Wagen sollten die Eltern ihre Kinder mit dem Rad oder zu Fuß bringen, um das Verkehrschaos vor den Schulen einzudämmen. „Es hat keine Woche gedauert, da war alles schon wieder vergessen“, sagt die Lehrerin. Mehr Kontrollen müssen her, da sind sich beide schnell einig.

Als endlich Lemkes Enkel Yannick von der Nachhilfe kommt, geht es mit ihm im Auto nach Stahnsdorf weiter. Auch vor der Zille-Grundschule sieht es nicht besser aus, erzählt der Drittklässler im Wagen. Jeden Morgen verstopfen Hunderte Autos und auch die Müllabfuhr die Bushaltestelle vor der Schule. In seiner Klasse gebe es nur zwei Kinder, die regelmäßig mit dem Fahrrad zur Schule kommen. Und wenn sich dann doch mehrere aufs Rad schwingen, seien die Fahrradständer schnell überfüllt.

Auch darauf hat Opa Lemke das Rathaus schon aufmerksam gemacht, sagt er. Weil vieles aber immer noch nicht besser geworden ist, will er den Verkehrsbehörden im Kreis und in den Rathäusern weiter fleißig schreiben. Stoff hat er genug: Das mit der Müllabfuhr am Morgen vor der Schule müsse doch nicht sein. In der Karl-Marx-Straße in Kleinmachnow fehlen außerdem Hinweisschilder für die beidseitigen Radwege. Am S-Bahnhof in Teltow suchen Ortsfremde oft den Bus und in der Lindenallee in Stahnsdorf dürfen Radler nur in eine Richtung auf dem Radweg fahren. Niemand hält sich daran, denn auf der anderen Seite reiht sich ein Loch an das andere, zählt Lemke auf und ist noch lange nicht fertig.