PNN 27.9.13

Die vergessene Hauptschlagader Erinnerung zum Stammbahnjubiläum: Kleinmachnow hätte es ohne S-Bahn nie gegeben

von Eva Schmid

Kleinmachnow - „Es ist ein Skandal“, sagt Jens Klocksin von der „Bürgerinitiative Stammbahn“. Grund für seine Verärgerung ist die jüngste Entscheidung aus der Nachbarkommune Teltow. Dort wurde wie berichtet beschlossen, zusammen mit dem Land die Ruhlsdorfer Straße auszubauen. Klocksin fürchtet, dass durch den Ausbau, genauer durch einen geplanten Kreisel, die Möglichkeiten, die S-Bahn nach Stahnsdorf zu verlängern, noch stärker eingeschränkt werden. „Wir sollten uns die Option für die nächsten Generationen erhalten“, mahnte er.

Immerhin war einige Generationen früher eine weitere bisher freigehaltene Trasse, und zwar die Stammbahn, für die Entwicklung in der Region ausschlaggebend: Kleinmachnow hätte es ohne Bahnanbindung wahrscheinlich in seiner jetzigen Form so nie gegeben, urteilten die Experten, die am Mittwochabend im Kleinmachnower Bürgersaal auf dem Podium saßen. Die Bürgerinitiative Stammbahn hatte die Stadt-, Regional- und Verkehrsplaner im Rahmen des 175-jährigen Stammbahn-Jubiläums eingeladen.

Die neuen Quartiere in der Region wie die in Dreilinden profitierten seinerzeit von der guten Bahnvernindung, so Regionalplaner Manfred Kühn vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner. Auch der Bahnhof Düppel war ab 1913 für viele Siedler attraktiv, die Anfang der 30er-Jahre in die Bürgerhaussiedlung des Bauunternehmers Adolf Sommerfeldt zogen. „Die Häuser fanden damals einen reißenden Absatz“, sagte die Städtebauhistorikerin Celina Kress von der Technischen Universität Berlin. Kress hat unter anderem zu Siedlungsentwicklungen in Kleinmachnow geforscht. „Entlang der Hauptschlagader, der Stammbahnlinie, ist in den 30er-Jahren die Kleinhausbebauung extrem vorangetrieben worden“, so Kress.

„In 20 Minuten am Potsdamer Platz“ sei der klassische Werbeslogan der Terrainunternehmer gewesen. Und die Nähe zur Bahn nach Berlin ist auch heute gefragt: Im aktuellen Grundstücksmarktbericht gehöre die Gegend rund um den Teltower S-Bahnhof zu den teuersten Pflastern, sagte Klocksin.

Doch der Wiederaufbau der Stammbahn ist in weite Ferne gerückt: „Die heutige Anbindung ist auch ein Ergebnis der deutschen Teilung, deren Folgen endlich überwunden werden müssten“, sagte Christfried Tschepe, Stadtplaner und Vorsitzender des Berliner Fahrgastverbandes. Während Ostberlin gut mit dem Umland erschlossen ist, hakt es bei den Verbindungen aus Westberlin in Richtung Potsdamer Umland: Erkner, Straußberg und Königs Wusterhausen seien viel weniger dicht besiedelt als die Region Teltow. Dennoch fahren dort S- und Regionalbahn in einer hohen Taktung.

Den 20-Minuten-Takt des gut ausgebauten Busnetzes in der Region Teltow hält Stadtplanerin Kress für unpraktisch. Mit so langen Takten würden die vielen Jugendlichen und Kinder in der Region diskriminiert werden, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind. Ein guter Ansatzpunkt also, um bei ihnen für die Wiederbelebung der Stammbahn zu werben. „Das Thema muss breiter in der Öffentlichkeit diskutiert werden“, so Kress. Und auf die Jugend kommt es an, nur sie könne in Zukunft etwas ändern. Eva Schmid