PNN 24.9.13
Katherina Reiche hat im Wahlkampf und davor bewusst auf das Wahlvolk im Umland gesetzt – mit Erfolg
Potsdam-Mittelmark - Es ist die zweite Bundestagswahl in Folge, bei der nicht die Potsdamer über den Direktkandidaten für den Bundestag entschieden haben, sondern die Kommunen rund um die Landeshauptstadt. Die Potsdamer CDU-Kreisvorsitzende Katherina Reiche hat es mit einem bahnbrechenden Ergebnis in vielen Orten rund um Potsdam erstmals auf direktem Wege in den Bundestag geschafft. Wäre es nach den Potsdamern gegangen, hätte es diesmal Andrea Wicklein verdient gehabt. Doch die Landeshauptstadt hat Andrea Wicklein wie vor vier Jahren schon Rolf Kutzmutz von den Linken kein Glück gebracht.
160 000 Menschen leben in der Landeshauptstadt, im Rest des Wahlkreises 61 etwa 145 000. Wicklein hat das immer beachtet. Die 55-jährige SPD-Politikerin aus Nuthetal ist dreimal immer direkt ins Parlament gewählt worden – und hat damit eine Nachwendetradition im Wahlkreis fortgesetzt. Sie hat vieles richtig gemacht, war in den vergangenen vier Jahren präsent, hat im Wahlkampf mit einer Tippeltappeltour an Wählers Haustür um jede Stimme gekämpft, nicht nur in Potsdam, und sich am Ende als deutlich populärer als ihre Partei erwiesen.
Wicklein hat in der Landeshauptstadt wie in vielen anderen Kommunen ihr Ergebnis von 2009 verbessern können, mit 28,7 Prozent war sie damals knapp an Rolf Kutzmutz vorbeigezogen. Die 32,2 Prozent vom Sonntag haben trotzdem nicht gereicht gegen die überraschende Aufholjagd Katherina Reiches und der CDU, besonders im Potsdamer Umland. Die Linke dürfte ihr erneut Stimmen gekostet haben, auch wenn mit Norbert Müller ein weitgehend unbekanntes Gesicht um das Mandat rang.Dass die SPD auch in Brandenburg nicht mehr an ihre Wahlergebnisse vor der Agenda 2010 anschließen kann, scheint länger anzuhalten. So schlimm war es allerdings noch nie. Hat Wicklein unter der bundesweiten Stimmung gelitten, war es bei Katherina Reiche andersrum. Im Nachhinein lässt sich sagen, dass es eine Überraschung gewesen wäre, wenn sie im Berliner Fahrwasser auf Grund gelaufen wäre. Die CDU hat bei dieser Wahl – mit Ausnahme des Steinmeier-Wahlkreises – in ganz Brandenburg die Direktmandate geholt. Reiche hatte außer in Ludwigsfelde und Potsdam in allen Kommunen des Wahlkreises die Nase vorn, und zwar oft deutlich.
47,1 Prozent in Großbeeren, 42,1 in Kleinmachnow, 41,6 Prozent in Werder, 37,9 in Teltow, das sind Zahlen, von denen sie in ihren bisherigen Wahlkämpfen nur träumen konnte. Dass auch Reiche jeweils über den Zweitstimmenergebnissen liegt, zeigt, dass sie – ungeachtet des Merkelbonus – selbst Terrain gewonnen hat. Unterm Strich hat sie mit 32,6 Prozent ihr Ergebnis von 2009 um satte 8,6 Prozent verbessern können, und zwar vor allem durch ihr gutes Abschneiden im ländlichen Raum. Womöglich hat das Potsdamer Umland damit einem neuen Kabinettsmitglied auf den Weg geholfen.
Die Christdemokratin hat in den vergangenen Jahren eine gute Figur gemacht, hat Machtinstinkt bewiesen und Gesicht gezeigt, als sie sich im Nominierungskampf gegen ihre innerparteiliche Rivalin Saskia Ludwig durchsetzen konnte. Sie hat ihre neue Rolle als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, ihre Kontakte ins Bundeskabinett in den vergangenen vier Jahren immer wieder geschickt ins Spiel gebracht, wenn es um die Akquise von Fördermitteln für die Region oder um Probleme wie den Kampf gegen den Eichenprozessionsspinner ging. Erstmals holte sie alle Beteiligten an einen Tisch, um die Zulassung des hochwirksamen Biozids Dipel ES zu beschleunigen. Ähnlich nutzte sie ihr Amt und ihre Kontakte bei den Planungen des achtstreifigen Ausbaus der A10 bei Michendorf, wo es mit Flüsterasphalt und solarem Lärmschutz nach dem Ausbau leiser werden soll.
Bei Themen wie dem umfassenden Nachtflugverbot für den BER, dem Kleinmachnower Schleusenausbau oder der umstrittenen Potsdamer Havelspange hat sie – mit Rücksicht auf die Wirtschaft – auf allzu deutliche Positionen verzichtet, sich damit Handlungsoptionen offengelassen. Vielleicht ist das ja von der populären Kanzlerin abgeschaut.
Und auch die volkstümliche Karte hat Reiche besser ausgespielt als in vorherigen Legislaturperioden, schaffte es nebenher, bei Feuerwehrwettkämpfen, Dorffesten oder beim Werderaner Karnevalsverein als „Putzfrau aus dem Reichstag“ präsent zu sein. Solche Auftritte haben ihr gerade auf dem Lande Punkte gebracht, wo es manchmal gar nicht so sehr um die große Politik, sondern um etwas hauptstädtischen Glanz, um geduldige Präsenz, um Geburtstagsblumensträuße und Grußworte zu Jubiläen geht.
Reiche wusste in den vergangenen Wochen, wo sie ihre Wähler hat, war im Umland stärker als in Potsdam präsent, holte den Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums, Bomba, oder die Landwirtschaftsministerin Aigner zu Wahlkampfauftritten in die Region. Angela Merkel hatte Reiches Arbeit bei einem Wahlkampfauftritt in Potsdam persönlich gewürdigt und ihr für die Arbeit in der Bundesregierung gedankt. Die 40-Jährige ist politisch gereift, das ist auch in Berlin angekommen.