PNN 17.9.13
Die Bundestagswahl im Potsdamer Wahlkreis ist nicht allein in der Landeshauptstadt zu gewinnen
Potsdam-Mittelmark - Wer hatte bei der letzten Bundestagswahl in Potsdam die meisten Erststimmen? Der Linke Rolf Kutzmutz war es, erst mit den Stimmen aus dem Potsdamer Umland konnte Andrea Wicklein von der SPD mit 0,1 Prozentpunkten an ihm vorbeiziehen. In diesem Jahr dürfte es, glaubt man den Prognosen für kommenden Sonntag, auf ein neues Duell zwischen Wicklein und der CDU-Bewerberin Katherina Reiche hinauslaufen, zumal Linke, Liberale und Grüne ihre Plakate mit neueren Gesichtern bedruckten. Auch die Neuen wissen: Der „Potsdamer“ Wahlkreis ist nicht allein in Potsdam zu gewinnen.
Die Direktkandidaten müssen sich genauso in Städten wie Werder (Havel), Teltow und Ludwigsfelde beweisen. „Die Hälfte der Wähler wohnt nicht in Potsdam“, sagt Norbert Müller von den Linken: Deshalb habe er versucht, seine Wahlkampftermine und die 500 Plakate mit seinem Konterfei entsprechend zu verteilen. Was die Themen angeht, seien sie hier wie dort ähnlich, meint der 27-jährige Landesvize. „Es geht um soziale Infrastruktur, bezahlbaren Wohnraum, existenzsichernde Renten und Arbeit, von der man leben kann.“ Der „bessere ÖPNV-Anschluss der Landeshauptstadt an die angrenzenden Kommunen“ sei eine der regionalen Angelegenheiten, die bundespolitische Unterstützung nötig hätten.
Wer das Direktmandat im Wahlkreis 61 will, sollte sich mit solchen Themen und mit den Einwohnerzahlen auskennen: Andrea Wicklein hat bei der Wahl 2009 in vier von zehn Kommunen teils knapp gewonnen: Teltow, Michendorf, Stahnsdorf und Ludwigsfelde. Ebenso viele Siege verbuchte Katherina Reiche: Sie gewann in Kleinmachnow, Schwielowsee, Werder (Havel) und Großbeeren. Rolf Kutzmutz hatte in Potsdam und Nuthetal die Nase vorn.Und nächsten Sonntag? Andrea Wicklein hat sich in den vergangen vier Jahren in einige kommunale Debatten eingemischt, manchmal gegen die Parteilinie. Termine seien ihr wichtig, wo sie helfen könne, Missstände zu beseitigen. Zu den wichtigen Themen zählten nicht nur Straßen, sondern ein leistungsfähiger ÖPNV, Breitband für alle und vor allem die gesamte soziale Infrastruktur.
Wicklein äußerte sich zu solchen Fragestellungen und war in der Region präsent, engagierte sich für einen sensibleren Ausbau der Kreisstraße Caputh-Ferch, vermittelte im Streit um den Ausbau des Pektinwerks in Werder oder setzte sich für die Umsetzung eines umfassenden Nachtflugverbots ein. Als Gegnerin eines Kleinmachnower Schleusenausbaus nutzte sie den Schleusenstandort im Wahlkampf für einen Fototermin mit ihrer bündnisgrüne Kollegin, Motto: „Schleusen auf für Rot-Grün“.
Die 55-Jährige konnte bereits dreimal das Direktmandat erringen, zuletzt mit 28,7 Prozent. Am Dienstag und Mittwoch wird Wicklein in Nuthetal und Teltow an den Türen klingeln, um Wankelmütige zu überzeugen, denn es könnte wieder knapp werden, diesmal aus einer anderen Richtung. Auch bei Katherina Reiche vergeht seit Mitte August kein Tag ohne Wahlkampftermine.
Es fällt auf, dass Reiche sogar öfter im Umland unterwegs war als in Potsdam und als einzige Bundestagskandidatin eine prominente Bundespolitikerin aus dem nahen Berlin aufs märkische Land locken konnte: Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) warb auf Schultzens Siedlerhof in Glindow mit Reiche für eine neue Kennzeichnung von Lebensmitteln, das „Regionalfenster“. Das traf durchaus einen Nerv.
„Schon bei den letzten Wahlen habe ich gerade aus den Gemeinden in Potsdam-Mittelmark viel Unterstützung für meine Arbeit erfahren“, sagt Reiche. Die 40-Jährige setzte hier eine Reihe politischer Akzente, unterstützte die Entwicklung einer bundeseigenen Gewächshausbrache in Caputh zum Wohnquartier, warb für einen Bahntunnel in Werder und nutzte ihre Möglichkeiten als Bundesumweltstaatssekretärin, als es um die Genehmigung eines wirksamen Biozids gegen den Eichenprozessionsspinner ging. Bei Themen wie dem Kleinmachnower Schleusenausbau bleibt sie vager als ihre SPD-Kollegin, lässt gegenüber Wirtschaftsvertretern die Option eines moderaten Ausbaus offen.
Die Potsdamer CDU-Vorsitzende sitzt vier Jahre länger im Bundestag als Wicklein, setzte mit einer guten Portion Machtinstinkt ihre Direktkandidatur bei einem denkwürdigen Showdown gegen die mittelmärkische Kreisvorsitzende Saskia Ludwig durch. Nicht auszuschließen, dass es in diesem Jahr mit ländlichem Rückenwind klappt mit den Erststimmen, selbst wenn der Abstand zu Wicklein 2009 noch 4,7 Prozent betrug. Der CDU werden im Land Brandenburg sieben Prozen Zuwachs zugetraut.
Und dann sind da die kleineren Parteien, die sich im Wahlkampf nicht auf große Ortsverbände stützen können, die Dutzende Plakate verteilen und Wahlkampfstände organisieren. Mit Annalena Baerbock (32) tritt immerhin die bündnisgrüne Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende im Wahlkreis 61 an. Im Übergang zwischen städtischem und ländlichem Raum würden viele Themen eine Rolle spielen, für die sie sich stark mache, wie bezahlbarer Wohnraum, gute Kitas, ein starker öffentlicher Nahverkehr, ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr oder der Ausbau erneuerbarer Energien unter Einbeziehung der Anwohner.
Die 39-jährige FDP-Bewerberin Jacqueline Krüger räumt ein, dass es logistisch neben der Arbeit für ihre Castingagentur nicht leichtfällt, über Potsdam hinaus Flagge zu zeigen. Ihr Wahlkampfbudget bewege sich im vierstelligen Bereich, mit 500 Plakaten und 30 000 Flyern würden aber auch außerhalb der Landeshauptstadt ihre liberalen Botschaften transportiert. Was meint sie zur Zweitstimmenkampagne? „Wer ganz sichergehen will, mich zu wählen, sollte beide Kreuze bei der FDP machen.“
Cornelius Everding von den Piraten räumt offen ein, viel zu wenig im Potsdamer Umland um die Wählergunst geworben zu haben. „Mit 200 Euro Wahlkampfbudget und 200 Plakaten geht nicht so viel wie bei einer eingespielten Organisation.“ Er kenne sich dennoch dank seiner Motorradausfahrten rund um Potsdam aus und sehe die „dezentrale Energieerzeugung“ als eines der Kernthemen für die Region, so der 46-Jährige. „Potsdam-Mittelmark ist da schon gut aufgestellt.“