PNN 22.4.13

Geteiltes Deutschland Schlupfloch mit Notlüge

von Tobias Reichelt

Durch eine schmale Tür in der Mauer schlichen Stasi-Spitzel noch im Jahr 1989 von Kleinmachnow in den Westen. Eine markante Eiche spielte dabei eine besondere Rolle.

Kleinmachnow - Da staunte der Spitzel nicht schlecht: Die Bedingungen für einen geheimen Übertritt in den Westen waren perfekt, hier in Kleinmachnow. Die Büsche wuchsen wild, die Bäume versperrten die Sicht und sogar an eine Notlüge hatte die DDR-Staatssicherheit schon gedacht, lobte IM „Bubi Mahler“ aufrichtig und ehrlich im Sommer 1989 die Vorbereitungen. Ein Kreuz auf der Stasi-Karte markiert die markante Eiche am Buschgraben, jenseits der Mauer, die sich bestens eigne, um auf dem Weg in den Westen noch einmal Wasser zu lassen. Zur Tarnung vor neugierigen Blicken.

Forscher der Stasi-Unterlagenbehörde (BStU) haben jetzt zutage gebracht, was der Machtapparat der DDR in seinen letzten Zügen noch unbedingt geheimhalten wollte: ein Loch in der Mauer für die eigenen Agenten. Dort, wo heute im Kleinmachnower Erlenweg die Bewohner des Wohnstifts Augustinum spazieren gehen, schlichen noch im Wende-September 1989 die ersten Stasi-Spitzel in den Westen und wieder zurück. Das geht aus Akten, Fotos und Karten hervor, die derzeit im Heimatmuseum Zehlendorf unter dem Titel „Geheim! Die Stasi fotografiert Zehlendorf und Steglitz“ ausgestellt werden.

„Die Stasi hat sich in dem Gebiet ziemlich unbeobachtet gefühlt“, erklärt Klaus-Peter Laschinsky vom Zehlendorfer Heimatverein. Im Herbst 1988 sei in der Stasi-Hauptabteilung Nummer VIII erstmals über die sogenannte operative Grenzschleuse mit dem Namen „Quartett“ beraten worden. Anhand von Fotos beschreiben die Mitarbeiter der Staatssicherheit das Gelände am Buschgraben zwischen dem Erlenweg in Kleinmachnow und der Sachtlebenstraße in Berlin-Zehlendorf detailliert und heben seine Vorzüge hervor: Es ist unübersichtlich und praktisch ohne Hindernisse gelangt man auf einen nahen Reit- und Spielplatz hinter der Teltowwerft am Teltowkanal – ins damalige West-Berlin.

„In dem Gebiet haben Berliner damals oft ihre Hunde ausgeführt“, sagt Laschinsky. Und nicht nur die hätten ab und zu ihr Beinchen gehoben, sondern auch deren Besitzer. Das hatte die Stasi beobachtet und schlussfolgerte: Polizisten aus dem Westen würden den Agenten die Geschichte von der Notdurft schnell abnehmen. So ist es in den Akten vermerkt: „Bearbeitungsergebnisse belegen, dass das Betreten dieses Territoriums zum o.g. Zweck häufig durchgeführt wird.“

Am 10. Juni 1989 wurde der Inoffizielle Mitarbeiter mit dem Decknamen „Bubi Mahler“ an der Grenzschleuse eingewiesen – er sei positiv überrascht gewesen, solch günstige Bedingungen für einen konspirativen Grenzübertritt vorzufinden, heißt es in den Akten der Staatssicherheit

In zwei Berichten vom 23. August und 15. September 1989 werden die Vorbereitungen und der Ablauf einer Schleusung der Spitzel „B. Mahler“, „A. Anders“ und E. Groß“ minutiös beschrieben. Am 9. September huschen sie durch das schmale Tor und verschwinden für einen Tag im Westen. „Was die drei dort gemacht haben, bleibt in dem Bericht offen“, sagt Laschinsky.

Ein weiterer Blick auf die übrigen Fotos der Ausstellung lässt nur erahnen, was die Spitzel gemacht haben könnten. Hunderte von Fotos hat die Stasi von ihren Mitarbeitern in Berlin machen lassen: Schneebedeckte Villen, das Trefflokal der Agentenzentrale UfJ in der Argentinischen Allee, die amerikanische Geheimdienststelle in Dahlem, der Ratskeller in Zehlendorf, der Bahnhof Lichterfelde West oder der Bierpinsel. Die Schwarz-Weiß-Bilder geben einen Blick in das Berlin der 50er- bis 80er-Jahre.

In Farbe sind hingegen die Fotos der Umgebung des einstigen Mauer-Schlupflochs bei Kleinmachnow. Sehr oft können die Spitzel die Schleuse aber nicht genutzt haben. Am 9. November 1989 wurden die Grenzen geöffnet, der Eiserne Vorhang später Stück für Stück entfernt – und mit ihm auch das Schlupfloch am Erlenweg.

Die Ausstellung ist noch bis zum 18. Juni im Heimatmuseum Zehlendorf in der Clayallee 355 zu sehen. Geöffnet ist montags und donnerstags von 10 bis 18 Uhr sowie dienstags und freitags von 10 bis 14 Uhr. Der Eintritt ist frei.