PNN 9.4.13
Mit neuer Technik, neuen Stühlen und neuen Ideen bereitet eine Genossenschaft in Kleinmachnow die Kammerspiele auf eine Zukunft im kulturellen Rampenlicht vor
Kleinmachnow - Ein Knopfdruck genügt und Michael Martens setzt die Filmvorführmaschine in Gang. Heiße Luft strömt aus dem Bildwerfer durch ein armdickes Rohr unter der Decke des Projektorraums der Kleinmachnower Kammerspiele. Von der Seite schwebt ein dünner Plastikfilm quer durch den Raum vor das helle Licht und wieder zurück auf die Filmrolle. Es brummt und summt, quietscht und rauscht in dem schmalen, stickigen Raum, doch die Arbeit mit der alten Technik stört Michael Martens nicht. Durch ein kleines Fenster sieht er weit entfernt die Defa-Filmfigur „Das Schulgespenst“ über die Leinwand spucken und unter ihm juchzen leise die Kinder eines Horts. „Bald“, sagt Martens, „werden wir hier auch digital“.
Seit November ist der 53-jährige Kleinmachnower einer von zwei Geschäftsführern der sogenannten Neuen Kammerspiele – einer Genossenschaft, die sich dem alten Kino- und Theaterhaus in der Karl-Marx-Straße mit finanzieller Hilfe der Gemeinde angenommen hat. Noch kein halbes Jahr ist verstrichen und schon sind Veränderungen sichtbar: Die Zahl der Kinobesucher ist gestiegen, Kulturgrößen wie Harry Rowohlt, Wladimir Kaminer oder Dieter Moor stehen auf dem Programm und immer öfter laufen Kinopremieren. Mit jeder ausverkauften Lesung, jedem gut besuchten Konzert und jedem gezeichneten Genossenschaftsanteil rücken die Neuen Kammerspiele ihrem Ziel näher: schwarze Zahlen. Doch bis es soweit ist, wird erst Geld ausgegeben.
Während im großen Kinosaal das Gespenst über die alte Leinwand flackert, rollt Moel Maurice im zweiten, kleineren Vorführraum schon mit einer Rolle dunkelrote Farbe an die Wand. Gemeinsam mit Mia Morris will der junge Mann mit den Strubbelhaaren hier die neue Eventreihe „Indieberlin“ starten. Monatlich sollen Künstler aus der benachbarten Großstadt hinaus nach Kleinmachnow fahren, um Jugendliche und alle, die sich so fühlen, mit Konzerten, Ausstellungen, Burlesqueabenden und vielem mehr zu begeistern. Los geht es am 26. April mit der Band Bunny Suit. Bis dahin soll noch die barocke Tapete an die Wand und eine mobile Bar gebaut werden.
Um das Berliner Klubszenen-Flair in den Neuen Kammerspielen perfekt zu machen, haben Maurice und Morris im Internet ein paar alte Sessel ersteigert und auch einen großen Flügel hineingeschoben. Der umgestaltete Raum soll nicht nur für Konzerte jeglicher Art, sondern auch für Lesungen, Bankette, die Feiern zur Jugendweihe oder weitere Filmvorführungen genutzt werden können.
Seit Monaten steckt das neue Team von etwa 20 Mitarbeitern und vielen freiwilligen Helfern jede Menge Schweiß in das Projekt, sagt Martens. Nicht nur der zweite Vorführraum soll fit gemacht werden, auch der gesamte Eingangsbereich wird sich verändern: Wer in die Neuen Kammerspiele will, wird schon bald zuerst durch einen großen Gastraum schlendern. Die alte Bar wird versetzt, die Toiletten umgebaut. Die Bauanträge sind gestellt, das Brandschutzkonzept ist schon in Arbeit. Im Spätsommer können die Arbeiter anrücken.
Insgesamt 400 000 Euro will die Gemeinde Kleinmachnow der Genossenschaft bereitstellen, damit sie die Umbauten finanzieren kann. Einzige Voraussetzung: Bis Ende des Jahres müssen mindestens 200 Genossenschaftsanteile zu je 250 Euro verkauft sein. Schon jetzt sind 180 vergeben. Jeder, der einen ergattert hat, kann auf Vorzüge setzen, erhält hier und da Rabatte oder kann einfach früher eine Karte kaufen als Nichtmitglieder.
Vermutlich werden die Genossen auch die ersten sein, die auf den neuen Theaterstühlen in den Kammerspielen Platz nehmen können. „Wir haben mehrere Förderanträge beim Medienboard Berlin Brandenburg und der Filmförderungsanstalt eingereicht“, sagt Martens. Einige der alten markanten Sitzmöbel, so ist es mit der Denkmalschutzbehörde abgesprochen, werden dann an anderer Stelle im Kino aufgestellt. Zur Erinnerung an alte Zeiten.
Wenn alles klappt, könnten schon Ende Mai 50 000 Euro aus den Förderkassen fließen, damit auch die Kinotechnik in den Kammerspielen digital umgerüstet werden kann, vom Bild über Ton und der Leinwand. Nur 3D-Technik soll es nicht geben. Auch die alten Filmvorführmaschinen werden nicht abgeschafft, verspricht Martens. „Das Kino hat Tradition, es wäre eigenartig, wenn wir nicht in der Lage wären, alte Filme abzuspielen.“
So kommt es ganz anders: Die Kammerspiele haben gerade erst einen erfahrenen Filmvorführer eingestellt, der Martens im Projektorraum ablösen soll. Über 20 Jahre soll der Mann im alten Zehlendorfer Kino „Kurbel“ gearbeitet haben. Die Kurbel ist heute geschlossen, die Kleinmachnower Kammerspiele hingegen leben.
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Die Kammerspiele sind 1936 erbaut worden. Die Familie Bornemann führte das Kino- und Theaterhaus, bis sie 1960 über die Grenze der DDR in den Westen floh. Das Haus wechselte in staatlichen Besitz. Nach dem Fall der Mauer erhielt die Familie die Kammerspiele samt dahinterliegendem Wohnhaus zurück. Bis Ende 2003 verpachteten die Bornemanns die Kulturstätte an die Gemeinde Kleinmachnow. Danach führte Karl-Heinz Bornemann die Geschäfte des mittlerweile denkmalgeschützten Hauses selbst weiter. Im Jahr 2009 kündigte er jedoch an, den Betrieb einstellen und das Haus verkaufen zu wollen. Über Jahre zogen sich die Verhandlungen mit der Gemeinde hin. Zu einem Verkauf kam es nicht. Stattdessen wurde ein Pachtvertrag zwischen Bornemann und der Genossenschaft Neue Kammerspiele geschlossen – eine der beiden Geschäftsführer ist die Kulturmanagerin Carolin Huder. Sie betreibt mit dem Neuköllner „Heimathafen“ bereits erfolgreich ein Theater. tor