PNN 7.1.2013
Mit dem Heimatverein auf einer besonderen Entdeckungstour durch Kleinmachnower Straßen
Kleinmachnow - Das Haus im Elsternstieg 9 ist eine Ausnahme in Kleinmachnow, denn es steht allein auf einem Grundstück, das über zwei Hektar misst. Die meisten Anwesen in der Eigenherdsiedlung seien früher größer gewesen, erzählte Besitzerin Elisabeth Göbel den rund 50 Teilnehmern, die am Samstag zur traditionellen Neujahrswanderung des Heimatvereines mit den kundigen Führern Harald Kretzschmar und Ingo Saupe gekommen waren.
Statt ihr Grundstück zu parzellieren, wie andere ringsum, zog es Familie Göbel vor, den traditionellen Blumengarten vor dem Haus und den dahinterliegenden Nutzgarten zu erhalten. Inzwischen ist die grüne Oase im Elsternstieg weit über die Ortsgrenzen bekannt, seit Göbels ihre Tore für die Urania-Reihe „Offene Gärten“ regelmäßig aufmachen. Dass es dort nicht nur das grüne Refugium zu entdecken gibt, stellte Harald Kretzschmar jüngst fest. Für den Karikaturisten, Buchautor und ausgewiesenen Kenner des Kleinmachnower Kulturbiotops gehört die 73-jährige Autorin Elisabeth Göbel zur örtlichen Literaturszene der Gegenwart. Neben Romanen und Reiseberichten über Pommern, Masuren und Galizien schrieb sie auch ihre Kleinmachnower Kindheitserinnerungen auf, aus denen sie einige Kostproben vorlas. Aufgewachsen ist sie in dem Haus, das sie noch heute bewohnt und das der Großvater einst scherzhaft mit einer Kaffeemühle verglich, in Anspielung auf das doppelte Walmdach, auf dessen Mitte der Schornstein thront. Ursprünglich sollte es ein Haus im Stile der Neuen Sachlichkeit mit Flachdach werden, doch das war ab 1933 verboten.
Nur ein paar Meter weiter, im Langendreesch 5b, steht ein Haus, das der Bauhauskünstler Max Taut für seinen Freund Adolf Grimme entwarf. Grimme, bis 1933 preußischer Kultusminister, lebte bis zu seiner Verhaftung durch die Nazis in Kleinmachnow. Nebenan wohnte der Nazibürgermeister, dessen Gegenwart Grimme nur schwer ertrug. Sein Sohn Peter erinnerte sich später, dass der Vater der Anordnung zur Beflaggung zwar nachkam, aber nur mit der kleinsten Fahne und die hisste er aus dem Klofenster. Grimmes Frau Maria, eine Malerin, lebte bis 1952 in dem Haus.
Ein weiterer Vertreter der Neuen Sachlichkeit, der Architekt Hermann Muthesius, entwarf das Haus im Jägerstieg, dessen auffällig großer Balkon sich über die Giebelseite des ganzen Hauses erstreckt. Einst soll hier die berühmte Hochseiltruppe „Original-Alfredo-Traber“ gewohnt haben. Die Trabers tourten durch viele Länder, waren sie zu Hause, standen die Wohnwagen vor der Tür. Ihre Werbeparole lautete: „Wir gehen für Sie in die Luft“. Gleich nebenan im Haus Jägerstieg 48a wohnte seit 1981 die Dokumentarfilmregisseurin Gitta Nickel, die das Handwerk von der Pike auf lernte. Erste eigene Filme waren „Weiber“ und „Heuwetter“. Besondere Kennzeichen: Ihre Filme kommen ohne Kommentare aus, sie lässt die Leute erzählen. Mitte der 90er Jahre stand Bundespräsident Weizsäcker persönlich vor ihrer Tür, seine Familie hatte das ältere Hausrecht, wusste Kretzschmar zu berichten. Nickel lebt seither in Werder.
Weitere Stationen der Neujahrswanderung waren das Haus des Schriftstellerehepaares Vilmos und Inge Korn, das des Verlegers Peter Bloch und der Schauspielerin Helga Göring, die ab 1955 im Haus Wolfswerder 9 mit ihrer Schwester wohnte, nach dem Bau der Mauer in den Langendreesch 3 umzog. Ebenfalls mit ihrer Schwester wohnte Schauspielerin Agnes Kraus zusammen im Haus Nummer 7 im Birkenschlag. Bei Dreharbeiten mit Tieren habe ihr der ortsansässige Veterinärarzt Horst Lüscher beratend zur Seite gestanden, erzählte Harald Kretzschmar. Kirsten Graulich