PNN 16.8.11

Für Schüler ein gefährliches Pflaster

von Thomas Lähns

Landratsamt vermeldet besonders hohe Zahl von Schulwegunfällen und will jetzt in die Offensive gehen

Potsdam-Mittelmark – Es war die klassische Fahrschulsituation – und doch war die 39-jährige Autofahrerin ihr nicht gewachsen: Als im November vergangenen Jahres ein elfjähriger Junge hinter einem Bus über die Kemnitzer Straße in Werder (Havel) lief, wurde er von ihrem Mazda erfasst, zu Boden geschleudert und schwer verletzt. Solche Unfälle kommen im Landkreis immer wieder vor: Schüler stürzen mit dem Rad, werden im Gedränge an der Bushaltestelle auf die Straße geschubst oder ein Auto erfasst sie beim plötzlichen Sprint über die Fahrbahn.

Laut dem aktuellen „Schulwegsicherheits-Report“ des Landratsamtes sind von 1000 Kindern statistisch gesehen 3,7 pro Jahr in einen Crash verwickelt. Der Landesdurchschnitt liegt bei 3,1, die Quote in Berlin bei nur 2,9. Gestern hat das neue Schuljahr begonnen, und laut Staatlichem Schulamt Brandenburg sind nun wieder 1672 Abc-Schützen im Landkreis unterwegs – die meisten von ihnen in der Region Teltow. Sie stellen sich und andere Verkehrsteilnehmer vor große Herausforderungen.

Der Landkreis will die Schulwege wegen der hohen Unfallzahlen sicherer machen: Geplant ist, Gefahrenstellen mit geringem Aufwand deutlicher zu kennzeichnen – zum Beispiel mit großflächigen Fahrbahnmarkierungen in grellen Farben oder durch Kinderattrappen aus Plastik am Straßenrand. An Überwegen könnten bunte Absperrungen den Strom der Schüler kanalisieren, und in brenzligen Kurven würden „Flimmerbremsen“ Abhilfe schaffen: Zwei Meter hohe, zweifarbige Stelen, die den Autofahrer aufmerken lassen.

Das Thema soll heute im Kreis-Bildungsausschuss diskutiert werden. Das Gremium tagt um 16.30 Uhr in der Petzower Schinkelkirche. Eines der Ziele der Verwaltung ist es, einen Stab zu bilden, der sich gezielt des Themas annimmt und ein Konzept für Verbesserungen der Schulwege erarbeitet. Dafür sollen auch finanzielle Mittel bereitstehen: Über die nächsten drei Jahre werden – sofern der Kreistag zustimmt – 30 000 Euro in Projekte zur Schulwegsicherung fließen.

Wie oft genau Kinder im Landkreis unter die Räder kommen, lässt sich nicht genau sagen: Während die Polizei im vergangenen Jahr 30 Unfälle mit Schülern registriert hat, haben die Schulen 39 Fälle gemeldet. Die Unfallkasse des Landes Brandenburg spricht gar von 258 Schulwegunfällen. Trotz der verschiedenen Zahlen lasse sich feststellen, dass ein Viertel aller gemeldeten Schulwegunfälle zu Fuß oder mit dem Fahrrad passiert sind, heißt es in der Studie. Nur etwas sicherer ist das eigene Auto: Rund 12 Prozent der Unfälle sind mit dem Kfz passiert, wobei jedoch vor allem Fahranfänger aus den Abi- und Oberstufen die Statistik beflügeln. Eltern, die ihre Kinder zur Schule fahren, seien nur in vier Prozent der Unfälle verwickelt, heißt es. Sicherstes Verkehrsmittel bleibt laut Landratsamt jedoch der Bus: Nur ein Prozent der Schulwegunfälle hätten in den öffentlichen Verkehrsmitteln statt gefunden.

Die hohe Zahl der Unfälle von jungen Fußgängern und Radlern lasse sich laut Landratsamt übrigens nicht dem „kindlichen Unvermögen“ zuschreiben, sondern eher der schlechten Qualität und Verkehrsführung der Radwege – sofern überhaupt vorhanden. Tatsächlich habe eine Befragung von 78 Schulen gezeigt, dass die Verkehrserziehung der Erst- bis Sechstklässler vorbildlich sei. Nachholbedarf gebe es in der Sekundarstufe II.

Auch in Sachen Tempolimits hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan: In reinen Wohnorten wie Kleinmachnow oder Wilhelmshorst ist mittlerweile Tempo 30 weit verbreitet. Weiteren technischen Forderungen nach Ampeln oder Zebrastreifen könne der Kreis jedoch aus rechtlichen Gründen kaum nachkommen, wie es hieß.

Das Grundproblem, wie es die Autoren des Kreisreportes schildern, ist vielmehr traditioneller Natur: „Einerseits gibt es eine ehrfurchtgebietende und erfolgreiche Straßenbautradition, die seit hundert Jahren einem extensiven Automobileinsatz verpflichtet ist. Andererseits steht unsere Straßenverkehrsordnung unerschütterlich auf dem Fundament des Versicherungsrechts.“ Das bedeute: Statt Unfälle zu verhindern, geht es in erster Linie darum, den Schaden zu regulieren.