PNN 15.8.11

 

Gedenkmarsch an alten Gleisen

von Thomas Wendel

 

Stahnsdorfer Initiativen fordern zum Jahrestag des Mauerbaus die Reaktivierung der Friedhofsbahn

Stahnsdorf - Man muss genau hinsehen, um Spuren der Friedhofsbahn zu entdecken: Der Bahndamm verliert sich im hügeligen Wald, Schottersteine liegen verstreut, die Gleise sind lange schon demontiert. Mit dem Bau der Mauer am 13. August 1961 wurden auch Stahnsdorf und Kleinmachnow von Berlin getrennt. Zum Gedenken an diesen Tag und seine Folgen haben sich an der Trasse Dutzende Bürger und Privatinitiativen versammelt. Sie eint die Empörung über den SED-Staat und die Forderung des Wiederaufbaus der 4 300 Meter langen Bahnlinie.

Das Ansinnen bringt Bürgermeister Bernd Albers (BfB) auf den Punkt: „Wir lassen uns vom untergegangenen SED-Staat nicht heute noch vorschreiben, wo eine S-Bahn fährt und wo nicht!“ Er steht neben den beiden Flügeltüren des ehemaligen S-Bahnhofes Stahnsdorf und blickt Richtung Südwestkirchhof. „Das ist eine tiefe Wunde, die Berlin und Brandenburg trennt“, sagt er.

Einige Schritte hinter ihm ist der Bahnsteig zu erahnen, dazwischen die überwachsenen Reste des Bahnhofes. Am 1. Juli 1976 wurde das Bahnhofsgebäude am Südwestkirchhof gesprengt. Kaum etwas ist erhalten geblieben. Die Bahnhofsuhr, ein Schild: nichts war mehr zu finden. Einzig die Schwingtür, an der eine Fensterscheibe fehlt, hat Heimatforscher Peter Ernst (78) in seiner Nachbarschaft retten können. „28 Jahre bin ich hier ein- und ausgegangen“, erzählt er, „anfangs auf dem Arm meiner Mutter“. Die Türen, deren vergilbtes Gelb abblättert, sind eine Installation: nur für den 13. August aufgestellt, verschlossen, sogar ungenehmigt. Aber als sichtbares Zeichen gedacht für den geforderten Wiederaufbau.

Ernst greift zum Bolzenschneider und durchtrennt die symbolische Kette durch beide Türgriffe. Das Hinweisschild „Zugverkehr vorübergehend eingestellt“, hofft er mit den vielen anderen, werde bald erfüllt. Die „ungenehmigte Aktion“ animiert den Stahnsdorfer Gerhard Petzholtz zu einer Einlage in NVA-Uniform.

Eine andere Initiative stammt vom Stadtplaner Guido Fründt (28). Er arbeitet in Hamburg, wo er in seiner Freizeit eine Schautafel mit Wegmarken des Stahnsdorfer Bahnbaus gestaltet hat. Er huldigt dem Südwestkirchhof mehr als Potsdamer Schlössern und sieht ihn als Besuchermagnet. Für Fründt ist die Bahn eine „Lebensader des Friedhofes“. Eine persönliche Bindung zur Strecke gibt es auch: Sein Großvater hatte am 13. August 1961 ganz normal die S-Bahn nach Stahnsdorf fahren sollen. Aber nach zehn Jahren als Triebwagen-Fahrer war es vorbei.

Vom Bahnhof nur die Türe, von den Schienen nur Gleisreste, vom S-Bahnhof Dreilinden der Bahnsteig: Auf dem Weg zwischen Stahnsdorf und Wannsee über den Kanal und unter der Autobahnbrücke durch verliert sich die Trasse oft. Bahnfreunde, Heimatkundler und Interessierte wandern zum Gedenken die Strecke ab, kommen an Stelen für die Mauertoten vorbei. Jürgen Böhm, Vorsitzender des Heimatvereins Stahnsdorf, betont die Notwendigkeit der Friedhofsbahn heute.

Mit Verweis auf die gestiegene Einwohnerzahl, 60 000 leben in Teltow-Stahnsdorf-Kleinmachnow, wird Wiederaufbau gefordert. Doch die Bahn reagiert kaum darauf, so Bürgermeister Albers: Sechs Mal habe er vergeblich geschrieben, um die Eisenbahnbrücke über den Teltowkanal zugänglich zu machen. 100 000 Euro seien kalkuliert für einen Fußgängerweg, Stahnsdorf und Kleinmachnow seien sich einig. Die Bahn schweige.

Das Aufstellen der Türen sei eine einmalige Aktion, sagt Peter Ernst. Er werde sie nun vorübergehend einlagern. Die Schautafel von Guido Fründt wird abgebaut, bis die Kommune einen Schaukasten aufstellt. Die Forderung nach dem Wiederbetrieb der Friedhofsbahn bleibt bestehen. Die junge Initiative „Stillgelegt, abgebaut, vergessen“ wird mit regelmäßigen Führungen an der Trasse auch das Gedenken an die Maueropfer fortführen.