PNN 27.7.11

 

Fluchtgeschichten und nette Leute

von Thomas Wendel

Die Schopfheimer Bläserklasse übt für ein Gastspiel in Kleinmachnow und sucht nach Partnern

Kleinmachnow/Schopfheim - Viel wissen die Heranwachsenden aus dem Schwarzwald noch nicht von ihrer Partnergemeinde: Kleinmachnow liege bei Berlin, sagen mehrere der 14-jährigen Schüler zögerlich. Es sei ungefähr so groß wie ihre Heimatstadt – und es sei früher DDR gewesen. Gerade 15 Jahre alt geworden ist die Partnerschaft zwischen der südbadischen Kleinstadt Schopfheim im Dreiländereck und Kleinmachnow bei Berlin. Die Partnerschaft ist ein Jahr älter als die Schüler. Während auf Verwaltungsebene der Südwest-Nordost-Austausch funktioniert, gibt es auf auf Schulebene Anlaufprobleme, sagt der Schopfheimer Lehrer Dieter Waibel. Er hat in den vergangenen Wochen vergeblich versucht, einen Schüleraustausch zu initiieren. Auf das Angebot der badischen Hauptschule ist keine Kleinmachnower Schule eingegangen.

Es ist Nachmittag, Unterrichtsende für die Klasse 7b, kurz vor Ferienbeginn in Baden-Württemberg. In einem Kellerraum der Friedrich-Ebert-Schule in Schopfheim wird geprobt. 16 Jugendliche sitzen inmitten von Flöten, Saxophonen und Schlagzeug beisammen. Die Notenständer sind neu, der braune Bodenbelag auch, aber der Handtuchhalter am Waschbecken ist uralt, der geschwungene Schriftzug weist auf die Zeit hin, als Schopfheim und Kleinmachnow noch von einer Mauer getrennt waren. Ein Klassiker von Glenn Miller erschallt. Mambo Nr. 5 und ein Beatles-Stück werden geübt. Musiklehrer Waibel gibt ein Fingerzeichen, dirigiert, und ist nach drei Minuten ganz zufrieden. Immerhin soll dieses Stück am 29. September auch im Bürgersaal des Kleinmachnower Rathauses erklingen, wenn die Bläserklasse erstmals in den Osten reist – wenn es sein muss, auch ohne Schulpartner.

Denn es gibt viel zu erkunden. Nicht nur, dass die ,Weckli Schrippen heißen und man beim Bäcker keinen ,,Berliner" kaufen kann: ,,Da gab es früher die Mauer und viele Spione.“ Fluchtgeschichten fallen dann besonders den Jungs ein: im Tunnel, mit Heißluftballon. Berlin habe den Bundestag, die Spree, Madame Tussauds. Aber eine richtige Idee von Kleinmachnow haben die Schüler nicht. ,,Die sind genauso nett wie wir", fällt Milena noch ein, deren Stiefvater aus dem Osten kommt. Und die Leute wohnen in Siedlungen. Daniel will sich die,,Sache angucken und sehen, wie Berlin so isch".

,,Es kann doch nicht sein, dass nur offizielle Abordnungen fahren, die Städte-Partnerschaft aber an der Bevölkerung vorbei geschieht", sagt Klassenlehrerin Inge Böttger-Fisch. Sie will in den Schulstunden nach den Sommerferien speziell auch den Alltag und die Geschichte in Berlin und Brandenburg behandeln. Aber wie gut wäre es, wenn diese Erfahrung auch im Privaten fortgesetzt werden könnte, sagt Dieter Waibel.

Hartmut Piecha, im Kleinmachnower Bürgermeisterbüro für die Partnerschaft zuständig, weiß um die über Generationen gewachsenen Strukturen im Vereinswesen in Schopfheim. Das erleichtere die Partnerschaft, doch Vergleichbares gebe es nicht im Berliner Umland. Deshalb zeigt er sich auch skeptisch, dass die Bläserklasse aus Baden in der Mark privaten Familienkontakt wird knüpfen können. Aber er will vermitteln. Und er hat aus seinem Etat noch eine Schifffahrt auf der Spree für die Schüler finanziert.

Bis dahin üben die Schopfheimer nicht nur im Keller ihrer Hauptschule. In der Kreisstadt Lörrach wird regelmäßig in der Fußgängerzone gespielt. 150 Euro für die mehrere tausend Euro teuere und 800 Kilometer entfernte Reise kommen an einem guten Nachmittag schon zusamen. Das Plakat ,,Partnerstadt Kleinmachnow" und ,,Wir fahren nach Berlin" liegen dabei stets vor dem jungen Ensemble auf dem Pflaster.