PNN 20.6.11
Wissenschaftler prognostiziert Wertverfall von Immobilien in
Milliarden-Höhe durch neuen Flughafen
Teltow - Der Tenor der Grundstücksmarktberichte hatte in den vergangenen
Jahren den gleichen Klang. Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf galten als
teures Pflaster. Die attraktive Lage zwischen Berlin und Potsdam, der Teltower
S-Bahnanschluss sowie eine intakte Infrastruktur bescherten dem
Grundstücksmarkt ein jährlich hohes Preisniveau. Das könnte sich ändern. Die
Inbetriebnahme des neuen Flughafens in Schönefeld mit den zu erwartenden
Belastungen für die Region – ganz gleich in welcher Nuance sie noch korrigiert
werden – haben Folgen für die regionalen Immobilienpreise.
„Der Zusammenhang zwischen Fluglärm und Wertverfall von Immobilien ist
wissenschaftlich erwiesen“, sagt Friedrich Thießen.
Der Finanz- und Wirtschaftsexperte von der Technischen Universität Chemnitz
hielt am vergangenen Freitag in Teltow einen gut besuchten Gastvortrag zum
Thema „Fluglärm und Immobilien“. Der 54-Jährige hat in einer interdisziplinären
Studie mit Wissenschaftskollegen am Rhein-Main-Institut Darmstadt die
Auswirkungen von Fluglärm auf den Wert von Wohn-Immobilien untersucht. Anders
als bei zuvor ausgewerteten zahlreichen internationalen Studien, die sich an
einem Lärmpegel von 50 Dezibel orientierten, interessierte die Forscher bei
ihren Untersuchungen in einem Siedlungsbereich mit drei Millionen Menschen um
den Frankfurter Flughafen die Folgen bei Lärmpegeln unterhalb dieses Wertes.
Pauschale Erkenntnis: „Da wo Lärm ist, gibt es Preisverfall“, so Thießen.
Während der Untersuchungen, die 2005 begannen, hat das Expertenteam von
Ökonomen, Medizinern, Juristen und Sozialwissenschaftlern durch
Maklerbefragungen eine so große Menge an Daten gesammelt, dass sich daraus eine
allgemeine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt. „Es gibt einen funktionalen
Zusammenhang zwischen Fluglärm und Wertverlust von Immobilien“, so Thießen. Die statistisch signifikante Funktionskurve, die
aus den Untersuchungen im Rhein-Main-Gebiet abgeleitet wurde, „wird in Berlin
genauso sein“, ist sich der Experte sicher. Die Schäden durch den Wertverfall
würden – bei einer angenommen Lebensdauer von 50 Jahren der Immobilien – im mehrstelligen Milliardenbereich liegen.
„Auch bei 30 Dezibel sind Menschen betroffen“, sagt Thießen,
„und das summiert unglaublich Schäden und Einbußen an Lebensqualität, bei denen
der Immobilienwertverlust nur eine Stellvertretergröße ist.“ Dabei ließe sich
nach Meinung von Thomas Czogalla von der
Bürgerinitiative „Teltow gegen Fluglärm“ dieses Fiasko vermeiden. „Ein
Umfliegen der dicht besiedelten Region ist möglich und kostet die Airlines pro
Passagier rund einen Euro für den Mehrverbrauch von Kerosin“, rechnet er.
Finanzexperte Thießen kennt diese Rechnungen, „auch
die Politiker kennen diese Zahlen“, meint er, behauptet aber: „Die Lobby der
Politik für die Luftfahrtindustrie ist größer als für die Betroffenen.“ In
seinem Erfahrungsbericht aus dem Rhein-Main-Gebiet erkannten die Zuhörer am
Freitag zahlreiche Parallelen zum hiesigen Disput. „Politische
Absichterklärungen haben keine zeitlichen und rechtlichen Bindungen. Und bei
Landtagsbeschlüssen wird sorgfältig darauf geachtet, dass sie unverbindlich
sind.“
Die Erkenntnisse seiner Studie entfalten keine rechtliche Relevanz, „aber
sie zeigt die Schäden auf“, sagt Thießen. Was derart
fundierter Protest bewirken kann, zeige das Londoner Beispiel: Dort verzichtet
die Politik auf einen weiteren Ausbau des Flughafen Heathrow.
Heute wird mit einem Protestzug um die Staatskanzlei in Potsdam gegen die
Flughafen-Politik der Landesregierung demonstriert. Treffpunkt ist um 18 Uhr
vor der Schwimmhalle am Brauhausberg.