PNN 28.12.2010
Von Tobias Reichelt
Kleinmachnow - In Sachen Fluglärm ist sich Kleinmachnow einig: „Wenn
ich in meiner Nachbarschaft frage, sagen alle das gleiche“, berichtet Michael
Lippoldt. Seit knapp vier Monaten organisiert Lippoldt den Protest gegen den
drohenden Fluglärm vom neuen Hauptstadtflughafen in Schönefeld. Dass die Jets
über Kleinmachnow donnern sollen, sei eine „bodenlose Sauerei, ein eklatantes
Staatsversagen“, schimpft Lippoldt. „Schnurgerade führten die alten Flugrouten
weit am Ort vorbei.“ Seit vier Monaten ist alles anders: Die neuen Routen
führen über Kleinmachnow. Damit sich das wieder ändert, zieht die Gemeinde vor
Gericht.
Das Kleinmachnower Rathaus, die gemeindeeigene Wohnungsgesellschaft Gewog und
zwei Kleinmachnower Einwohner haben am 24. Dezember Klage gegen den
Planfeststellungsbeschluss zum Flughafenbau in Schönefeld eingelegt. Darüber
informierten die Beteiligten gestern im Kleinmachnower Rathaus.
Ziel der Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist ein Baustopp am
Flughafen. Einziges Vermittlungsangebot: Nur wenn zu den alten Flugrouten
zurückgekehrt wird, wolle man die Klage zurückziehen, kündigte Kleinmachnows
Bürgermeister Michael Grubert (SPD) gestern an. „Unser Ziel sind keine
Flugrouten über Kleinmachnow und angrenzende Regionen.“ Die Gemeinde ist damit
die erste Kommune, die sich privaten Klägern anschließt und die von der
Deutschen Flugsicherung Anfang September vorgelegten Flugrouten juristisch
anfechtet. Allein steht sie nicht: Auch die Nachbarkommunen Teltow und
Stahnsdorf unterstützen den juristischen Weg.
Auslöser der Klage sind ein Anfang Dezember von Brandenburgs
Verkehrsstaatssekretär Rainer Bretschneider (SPD) gegebenes Interview im RBB
Inforadio und ein erst kürzlich aufgetauchtes Schreiben des früheren
Flughafenchefs Götz Herberg aus dem Jahr 1998. Darin hatte Herberg das
Bundesverkehrsministerium gebeten, die Vorgaben der Flugsicherung für
abknickende Flugrouten nicht umsetzen zu müssen, weil sich sonst die
Planungszeit verlängert hätte. Und tatsächlich: Die Geradeaus-Routen dienten im
Planfeststellungsverfahren als Grundlage. Im Radiointerview vor knapp drei
Wochen habe zudem Staatssekretär Bretschneider bestätigt, dass das Land
Brandenburg schon immer mit abknickenden Flugrouten gerechnet hat, so
Bürgermeister Grubert.
Wäre das bereits 1998 kommuniziert worden, hätte Kleinmachnow Einspruch gegen
den 2004 gefassten Planfeststellungsbeschluss einlegen können. Doch dazu kam es
nicht. Da Kleinmachnow nicht unter den angegebenen Geradeaus-Routen lag, hatte
die Gemeinde keine Möglichkeit, Einspruch einzulegen, erklärte Grubert. „Wir
sind immer wieder von Landesregierung und der Flughafengesellschaft beruhigt
worden: Ihr seid nicht betroffen.“ Das liege dem Rathaus sogar schriftlich vor.
„Mit Rechtstaatlichkeit hat das nichts zu tun.“ Grubert griff die
brandenburgische Landesregierung an und forderte personelle Konsequenzen: „Da
müssen sich einige fragen, was sie da gemacht haben.“ So sei Staatssekretär
Bretschneider direkt für das Verfahren verantwortlich.
Systematisch sei die Kommune um ihr Beteiligungs- und Klagerecht gebracht
worden, erläuterte auch der von der Gemeinde engagierte Rechtsanwalt Christian
von Hammerstein: „Alle Betroffenen hätten ermittelt werden müssen.“ Aufgabe
beim Planfeststellungsverfahren sei es, eine „plausible, nachvollziehbare
Prognose über mögliche Flugrouten“ zu treffen. Die Verantwortlichen hätten sich
jedoch für die Routen entschieden, bei denen von Anfang an klar gewesen wäre,
dass sie bei unabhängigen Parallestarts nicht funktionieren können. „Das wurde
bewusst verschwiegen.“ Die Zahl der Betroffenen sei groß und reiche über die
Anwohner Kleinmachnows hinaus: „Alle Anwohner im Südwesten Berlins und dem
Umland wurden nicht berücksichtigt.“ Der Rechtsanwalt rechnet mit einem
Gerichtstermin in Leipzig im ersten Halbjahr 2011. „Es gibt immer noch
verschiedene Alternativen für die Flugrouten“, so von Hammerstein. Bei einem
Erfolg der Klage würde der Planfeststellungsbeschluss von 2004 wieder
aufgehoben, das Verfahren müsste neu aufgerollt werden. Für Kleinmachnow
müssten Lärmprognosen erstellt werden.
Mit auf der Klägerseite steht auch die Kleinmachnower Wohnungsgesellschaft
Gewog. Statt im Grünen Ruhe zu finden und friedlich zu wohnen, droht den
Mietern nun alle fünf bis zehn Minuten ein Überflug, erläuterte Gewog-Chef
Carsten Fischer den Schritt vor das Bundesverwaltungsgericht. „Das Wohlfühlen
in Kleinmachnow und Umgebung wird nicht mehr gegeben sein.“ Fischer fürchtet
auch um die Finanzkraft seiner Wohnungsgesellschaft: Immobilien verlieren an
Wert und Mieten sinken. Unterstützt wird die Klage zudem vom Verband Deutscher
Grundstücksnutzer, sagte Präsident Peter Ohm. Sein Verband hatte zuletzt sogar
Strafanzeige gegen einige Mitglieder des Aufsichtsrates der
Flughafengesellschaft gestellt. Allerdings ohne Erfolg. Die Staatsanwaltschaft
habe die Ermittlungen inzwischen eingestellt.
Bei der Kleinmachnower Bürgerinitiative gegen die neuen Flugrouten ist man sich
hingegen sicher: „Wir hätten nicht geklagt, wenn wir nicht nicht wüssten, dass
wir gewinnen“, sagt Michael Lippoldt. Wenn es um die Gesundheit, die
Lebensqualität im Ort und die Zukunft der Kinder gehe, werde man keine Kosten
scheuen. Schon viele seiner Nachbarn hätten sich gemeldet. Sie wollen die zwei
Kläger finanziell unterstützen.