PNN 14.12.2010
Von Stefan Jacobs
Potsdam-Mittelmark / Berlin - Den Tagungssaal der Fluglärmkommission
kann man „nüchtern“ nennen oder auch „trostlos“. Aber offenbar befördert der
fensterlose Raum im Lagerhallenstil in der „BBI Airportworld“ am Bahnhof
Schönefeld die Arbeitsatmosphäre: Gleich 16 Anträge zu möglichen Routen hat die
Kommission in ihrer Sitzung am gestrigen Montag an die Deutsche Flugsicherung
(DFS) weitergeleitet. Aus Sicht der neuen Kommissionsvorsitzenden Kathrin
Schneider ein Erfolg – „weil die Kraft nicht darauf verwendet wurde, sich die
Anträge gegenseitig um die Ohren zu hauen“. Statt um eigene Vorteile auf Kosten
der Nachbargemeinden zu kämpfen, hätten die Kommunen sich auf das eigentliche
Ziel konzentriert, auf die Minimierung der Lärmbelastung. Das unterscheidet die
70. Sitzung am Montag von manchen früheren.
Nach Auskunft von Schneider hat die Deutsche Flugsicherung zugesagt, die
Anträge bis Mitte Januar zu prüfen. Am 17. Januar will die aus
Kommunalvertretern, Behörden, Flughafengesellschaft und Airlines
zusammengesetzte Kommission erneut tagen. Das wird sie allerdings auch künftig
unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit tun: Mehrere Bürgerinitiativen
wurden als neue Mitglieder nicht zugelassen – auch nicht als Gäste ohne
Mitspracherecht. Letzteres hatten Betroffene als Kompromiss gefordert.
Schneider sagt, den Mitgliedern sei wohl die Arbeitsatmosphäre des kleineren
Kreises wichtig gewesen. Akzeptiert worden sei allerdings die Teilnahme der
Berliner Senats- und der Brandenburger Staatskanzlei sowie des
Landesumweltamtes. Die Kommission will künftig monatlich tagen; Termine gibt es
zunächst bis Mai. Bis zur Sitzung im Februar soll eine Arbeitsgruppe
Bewertungskriterien definieren, um aus der Fülle der Vorschläge die
realistischen Forderungen von praxisfernem Wunschdenken zu trennen.
Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert (SPD) bezeichnete die Stimmung als
„kontrovers aber angenehm“. Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf hätten sich
dafür eingesetzt, die Vertreter der Bürgerinitiativen zur Sitzung zuzulassen.
„Wir müssen jetzt abwarten, wie die Flugsicherung die Routenvorschläge
bewertet“, so Grubert. Von einigen Routen, wäre die Region nicht betroffen.
Unabhängig davon lassen sich die drei Nachbarkommunen rechtlich von der
prominenten Anwaltskanzlei „Geulen und Klinger“ beraten. Die Kanzlei war unter
anderem erfolgreich für die Bombodrom-Gegner tätig (siehe Interview).
Nach Auskunft der neuen Kommissionsvorsitzenden Schneider wurde über den
kürzlich aufgetauchten Brief des früheren Flughafenchefs Götz Herberg
inhaltlich nicht gesprochen, weil die Kommission dafür nicht zuständig sei.
Dafür äußerte sich der brandenburgische Infrastruktur-Staatssekretär Rainer
Bretschneider zu dem Schreiben, das viele als Beleg für jahrelange Tricksereien
sehen. In dem Brief hatte Herberg 1998 den damaligen Bundesverkehrsminister
gebeten, die Abflugrouten – anders als schon damals von der DFS gefordert –
nicht nach dem Start abknicken zu lassen. „Der Brief von Herrn Herberg ist uns
bis heute nicht bekannt“, sagt Bretschneider. „Von daher hat er auch keine
Auswirkungen auf das gehabt, was die Genehmigungsbehörde im
Planfeststellungsverfahren gemacht hat.“ Bretschneider hat diese Behörde
geleitet und ist aus jener Zeit manche Anfeindung gewohnt. Stoisch erklärt er
am Montag unter den wütenden Blicken von Bürgervertretern: „Es war damals nicht
klar, dass die Routen abknicken, und es ist auch heute nicht klar.“ Er bedaure,
dass die Frage der Flugrouten nun schon seit Jahren offen sei, und sei „sehr
gespannt, wie die Endversion aussieht“. Manche im Raum schnauben verärgert, als
sie das hören. Ferdi Breidbach, der Ehrenvorsitzende des seit den 1990ern gegen
Schönefeld engagierten Bürgervereins Brandenburg-Berlin (BVBB), glaubt seinem
langjährigen Widersacher Bretschneider kein Wort. „Aus der Geschichte kommen
Sie mit Abwiegeln und Interpretieren nicht mehr heraus“, sagt Breidbach.
Bretschneider weist den höflich vorgetragenen Vorwurf ebenso ruhig zurück und
betont vorsichtshalber gleich mehrfach, wie sehr er die Verärgerung der
Betroffenen verstehe. Vorbei die Zeiten, als er und Breidbach auch mal laut geworden
sind miteinander. Nur die Probleme, um die sie streiten, werden immer
komplizierter. (mit tor)