PNN 13.12.2010
Von Kirsten Graulich und Hagen Ludwig
Kleinmachnow - Mehrere Tausend Menschen haben am Sonntagnachmittag auf
dem Kleinmachnower Rathausmarkt erneut gegen die neuen Flugrouten am künftigen
Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg protestiert. Sprecher der
Bürgerinitiative „Weg mit Flugrouten“ plädierten für die Rückkehr zur alten
Planung sowie für ein strenges Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr. Zudem hat
Kleinmachnows Bürgerinitiative die sofortige Beschlagnahmung und Sicherstellung
aller Akten der Planfeststellungsbehörde des BBI-Großflughafens sowie den
Rücktritt des brandenburgischen Infrastruktur-Staatssekretärs Rainer
Bretschneider gefordert. Die Veranstalter sprachen von 4000 Teilnehmern an der
Demonstration. Nach Polizeiangaben waren es gut 2500.
Das kürzlich aufgetauchte Schreiben des damaligen Flughafenchefs Götz Herberg
an den Bundesverkehrsminister aus dem Jahre 1998 belege, dass im
Planfeststellungsverfahren für diesen Flughafen bewusst getäuscht worden sei,
erklärte Initiativensprecher Matthias Schubert. Mit dem Schreiben sei bewiesen,
dass von Anfang an mit abknickenden Flugrouten, die jetzt auch über die Region
Teltow, Kleinmachnow, Stahnsdorf führen sollen, geplant wurde.
Wie berichtet, hatte Herberg in dem Schreiben aus dem Jahr 1998 darum gebeten,
doch bei den alten Routen zu bleiben, die einen Geradeausflug nach dem Start
vorsahen. Zuvor hatte die Deutsche Flugsicherung (DFS) schriftlich darauf
hingewiesen, dass Maschinen, die gleichzeitig von beiden Startbahnen abheben,
sofort um mindestens 15 Grad voneinander abknicken müssen. Unmittelbar nachdem
die DFS Anfang September 2010 nun ein Konzept mit abknickenden Routen vorgelegt
hatte, erklärte die Flughafengesellschaft noch, sie sei davon überrascht
worden.
„Wir wurden absichtlich um unser Beteiligungs- und Klagerecht gebracht“,
erklärte Schubert vor den Demonstranten. Die Konsequenz der bewussten
Vorbereitung einer fehlerhaften Abwägung für den BBI-Planfeststellungsbeschluss
liege auf der Hand: Er sei rechtswidrig, weil von Anfang an mit unrichtigen
Flugrouten geplant wurde. Schubert sprach auf der Kundgebung von „bewusster
staatlicher Täuschung“. So etwas dürfe in Deutschland keinen Bestand haben,
erklärte er unter Beifall und vielstimmigen Baustopp-Rufen. Schubert: „Wir
wollen wissen, ob das Infrastrukturministerium von dieser Sauerei gewusst hat.“
Denn, entweder sei Staatssekretär Bretschneider die Tragweite nicht klar
gewesen, dann müsse er wegen Unfähigkeit gehen, oder, er habe davon gewusst,
dann sei das Grund genug, zu gehen. „Auf jeden Fall trägt er als Chef der
Planungsbehörde die politische Verantwortung für den Skandal“, sagte Schubert.
Auch einem eventuellen Schlichtungsversuch erteilte die Initiative eine Absage,
da es nur eine Lösung gebe: Die Rückkehr zu den der Planfeststellung
tatsächlich zugrunde gelegten Geradeaus-Routen.
Ans Mikrofon traten auch Kleinmachnower Bürger und berichteten von ihrem
Schock, als sie im September von den neuen Routen erfahren hatten. „Dass die
von uns gewählten Politiker so mit uns umgehen", beklagte der
Kleinmachnower Uwe Freund und forderte: „Herr Platzeck, kehren Sie um oder
treten Sie zurück!“ Hoffnungen setzen viele jetzt auf Bundesverkehrsminister
Peter Ramsauer (CSU), der kürzlich die Routen der DFS infrage gestellt hatte.
Auf einem Plakat stand: „Herr Ramsauer, wir nehmen Sie beim Wort!“ Und über
Mikrofon beschwor ein Redner den Minister: „Sie sind der eigentliche Chef ...,
nur Sie können diesem Unsinn ein Ende bereiten!“ Enttäuschung gab es indes
darüber, dass weder der Bundesminister noch Vertreter der Landesregierung zur
Demonstration erschienen waren.
Die Fluglärmkommission für den Flughafen Schönefeld trifft sich am heutigen
Montag zu einer weiteren Beratung über die umstrittenen Flugrouten. Das Gremium
werde zunächst einen neuen Vorsitzenden wählen, sagte der amtierende
Vorsitzende Winfried Seibert auf Anfrage. Seibert hatte den Posten
vorübergehend übernommen, nachdem der bisherige Amtsinhaber Bernd Habermann
zurückgetreten war. Ihm war vorgeworfen worden, nicht neutral genug im Sinne
aller Mitglieder gehandelt zu haben. Der Fluglärmkommission gehören 34
Mitglieder an, darunter von Lärm betroffene Kommunen sowie Vertreter von
Flughafen und Fluggesellschaften. Sie können bei der Planung der Flugrouten
beraten, jedoch nichts entscheiden. Das Gremium wird in nichtöffentlicher
Sitzung über „eine Fülle von Anträgen“ abstimmen müssen, sagte Seibert. Nun sei
es auch Sache der DFS, nicht umsetzbare Anträge auszusortieren. Die ebenfalls
von den neuen Flugrouten betroffenen Kommunen Werder (Havel), Schwielowsee,
Michendorf und Nuthetal waren nicht in die Fluglärmkommission aufgenommen
worden. Ihre Interessen in dem Gremium soll jetzt der mittelmärkische Landrat
Wolfgang Blasig (SPD) vertreten.
Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden der Fluglärmkommission seien ihm bisher
nicht bekannt, sagte Interimsvorsitzender Seibert. Er wolle „nur im Notfall“
weitermachen. Seibert appellierte auch an die Geschlossenheit des Gremiums:
„Wir haben alle einen Gegner – und das ist der Fluglärm, nicht die Gemeinde
nebenan“. In den Beratungen der Kommission ginge es darum, „den Lärm angemessen
zu verteilen“. (mit dapad)