PNN 19.11.10
Von Klaus Kurpjuweit und Tobias Reichelt
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Stahnsdorf / Schönefeld – Der Streit um die Flugrouten für den künftigen
Hauptstadtflughafen in Schönefeld geht in die nächste Runde. Am kommenden
Samstag, dem 20. November, haben Bürgerinitiativen der Region Teltow um 15 Uhr
zur Großdemonstration nach Stahnsdorf eingeladen. Die Initiatoren rechnen mit
etwa 6000 Demonstranten. Gestern hat sich auch Brandenburgs Ministerpräsident
Matthias Platzeck (SPD) als Redner für die Veranstaltung in der Annastraße
angemeldet.
„Die Auseinandersetzungen fangen jetzt erst richtig an“, sagte Matthias
Piaszinskie, Sprecher der Initiative „Stahnsdorf gegen Fluglärm“ gestern. Die
Demonstranten wollen den Druck auf die Politiker erhöhen, kündigte er an. Sie
seien diejenigen, von denen die Bevölkerung Handeln und Einlenken verlange.
Indes wurde bekannt, dass der vom Berliner Senat und der Brandenburger
Landesregierung großzügig versprochene Schallschutz für Anwohner unter den
künftigen Flugrouten nicht garantiert ist. Anspruch auf Schutz haben nach der
gegenwärtigen Rechtslage nur diejenigen, die rechnerisch über dem zumutbaren
Lärmpegel liegen, was in einem aufwendigen theoretischen Verfahren entwickelt
wird. Dies kann dazu führen, dass es über einem Haus zwar seltener laut wird
als jetzt noch vorgesehen, falls sich die Routen doch noch ändern, der Krach
aber dafür ungehindert ins Zimmer dringen kann, weil – anders als bei einem
ständigen Überfliegen – kein Schallschutz eingebaut werden muss.
Diese Fälle können eintreten, wenn die Flugsicherung für den Start der
Maschinen variable Routen wählt, was die Flughafengesellschaft fordert und als
„intelligente maßgeschneiderte Lösung“ bezeichnet. Die Flughafengesellschaft
will deshalb einen Mix: Wenn wenige Maschinen abheben, könnten diese, wie im
Planfeststellungsbeschluss vorgesehen, zunächst geradeaus fliegen – im Westen
über Blankenfelde-Mahlow; im Osten über den nördlichen Teil von Eichwalde und
über Bohnsdorf. Lichtenrade, Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf im Westen
sowie Zeuthen im Osten blieben verschont.
Dieses Verfahren ist aber nur möglich, wenn Flugzeuge nicht gleichzeitig in die
Luft gehen. Sollten sie parallel abheben, müssen sie nach dem Start abknicken.
Im Westen rückt die Route dann an Berlin heran, im Osten führt sie über
Zeuthen. Wird dieses Verfahren bei variablen Routen nur wenige Stunden am Tag
praktiziert, könnte dies dazu führen, dass einige Flugzeuge zwar in geringer
Höhe über Lichtenrade oder Zeuthen hinweg donnern, die Anwohner aber trotzdem
keinen Anspruch auf Lärmschutz hätten, weil bei der verhältnismäßig geringen
Zahl von Überflügen der notwendige Dauerschallwert nicht erreicht wird, der
sich an den sechs verkehrsreichsten Tagen orientiert.
Flughafenchef Rainer Schwarz besteht auf Parallelstarts. Ohne Parallelbetrieb
seien maximal 40 Starts in der Stunde möglich, angemeldet seien aber bereits im
Hauptverkehr bis zu 49. Nach Berechnungen des Spezialisten Tom Heuer vom
Airport Research Center gibt es diesen Spitzenbedarf zunächst zwischen 8 Uhr
und 9 Uhr sowie zwischen 20 Uhr und 21 Uhr. Etwa ab 2015 könnte eine weitere
„Welle“ zwischen 12 Uhr und 14 Uhr hinzukommen. Ohne Parallelverkehr könne der
neue Flughafen kein Drehkreuz werden, warnte Heuer. Betroffen davon wäre
zunächst Air Berlin. Die Gesellschaft ist gerade dabei, den Umsteigeverkehr in
Berlin auszubauen.
Unterdessen ist der Vorsitzende der Lärmschutzkommission, Bernd Habermann,
zurückgetreten. Als Ortsvorsteher der am meisten betroffenen Gemeinde
Blankenfelde wolle er einer möglichen Interessenkollision mit einer neutralen
Funktion in der Kommission vermeiden, begründete er gestern seinen Rücktritt.