PNN 18.11.10
Von Tobias Reichelt
Kleinmachnow - Laura, Hannah, Louisa und Rebecca sind in der 10.
Klasse und schreiben gerade an ihrem Testament. „Das ist interessant“, sagt
Laura und ihre Freundinnen stimmen ihr bei. „Das ist das Interessanteste was
wir heute gefunden haben“, sagen die Mädchen nach ihrem ersten Block zum Thema
Erbrecht. Was nach langweiligen Gesetzestexten klingt, hat den Mädchen
tatsächlich Spaß gemacht. Besser als Mathe, sagen sie und auch Versuchslehrerin
Claudia Obermeier ist zufrieden. Für einen Tag hat die gelernte Rechtsanwältin
ihren Job an den Nagel gehängt und den Unterricht am Kleinmachnower
Weinberg-Gymnasium übernommen – so wie 13 andere Eltern.
„Wir haben in unserer Elternschaft ein enormes Potenzial“, sagt Schulleiter
Olaf Thiele. Zum ersten Mal hat er gestern die Eltern seiner Schüler zum
Unterricht eingeladen, direkt vor an die Tafel. 14 Eltern haben sich zum ersten
Tag der Wissenschaften am Weinberg-Gymnasium angemeldet, darunter Professoren,
Wissenschaftler, Architekten, Maschinenbauer, Ingenieure oder Rechtsanwälte.
Viele Eltern hätten interessante Berufe, so Thiele, warum solle man die nicht
vermitteln? Gesagt getan. Statt Mathe, Deutsch und Englisch liefen den Schultag
über Vorträge zu Themen wie die Geschichte der Rentenversicherung, die Technik
von Hybrid- und Elektroautos, Solarzellen oder Experimente zur
Hochspannungsprüfung von Tunnelabdichtungen.
Anja Fell arbeitet eigentlich im Marketing Departement der Freien Universität
in Berlin. Gestern unterrichtete sie die Fünftklässler am Weinberg-Gymnasium in
Sachen Marketing. „Ich versuche ihnen zu erklären, was Marken sind“, sagt Fell.
Sie hat ihre Schüler einen Cola-Test machen lassen. Drei Sorten standen zur
Auswahl, fast alle würden die Marke kaufen, sagt Fell. Erstaunlich nur: „Am
besten geschmeckt hat ihnen die Billig-Cola“ – so entstehen Marken im Kopf,
sagt Fell.
Für fast vier Stunden haben die Eltern gestern den Unterricht am Weinberg-Gymnasiums übernommen. Auch ins
Lehrerzimmer durften sie, um sich bei einer Tasse Kaffee neuen Schwung zu
holen. Die Schüler der oberen Jahrgänge konnten sich aussuchen, welche Vorträge
sie sich anhören wollten, erklärt Schulleiter Thiele. Für ihn war die Idee ein
Erfolg. Im nächsten Jahr könnte es das nochmal geben.
Auch Vater Ralf Kortenkamp will gerne wiederkommen,
sagt er nach seiner ersten Unterrichtsstunde als Versuchslehrer am
Weinberg-Gymnasium. Der Daimler-Ingenieur aus der Motorenproduktion in
Berlin-Marienfelde hat eigens einen Smart-Motor mitgebracht. Leise summte der
während des Unterrichts vor sich hin, als Kortenkamp
den Schülern die Technik und den Unterschied zwischen einem Drei- und einem
Vier-Zylinder-Motor erklärt. „Die Schüler haben gut mitgemacht“, sagt Kortenkamp. Und auch die Jugendlichen sind nach dem
Unterricht zufrieden: „So viel hab ich noch nie über einen Motor gelernt“,
loben sie ihren Versuchs-Lehrer.