PNN 15.11.10
Zeuthen - Dieses Mal erging es Brandenburgs Ministerpräsident
Matthias Platzeck (SPD) besser. Als Redner auf einer Kundgebung der
Flugroutengegner in Zeuthen gab es am Sonnabend weniger Protest als noch vor
kurzem in Königs Wusterhausen. Aber: Auch Platzeck bekam bei seinem auftritt
Schmährufe zu hören. – wenn auch nicht so viele, wie sein BErliner Amtsbruder
Klaus Wowereit (SPD), der Anfang der Vorwoche in Lichtenrade ausgebuht worden
war.
Platzeck konnte in Zossen auch ein wenig beruhigen: „Die von der Flugsicherung
vorgeschlagenen Routen werden nicht das Licht der Welt erblicken“, kündigte er
vor den nach Angaben der Veranstalter rund 4000 Demonstranten an. Mit einem
Lärmmobil hatten die Veranstalter zuvor auch für Platzeck den zu erwartenden
Fluglärm simuliert. Er habe inzwischen einen Lernprozess durchlaufen und
erkannt, dass beim Festhalten an den vorgeschlagenen Routen zahlreiche
schützenswerte Einrichtungen in Zeuthen überflogen würden, sagte Platzeck.
Zeuthen ist, wie viele andere Kommunen in Flughafennähe, von den neuen
Überflugvorschlägen der Deutschen Flugsicherung völlig überrascht worden.
Während aber bei den bisher geplanten Flügen die Maschinen etwa über
Kleinmachnow, Teltow, Stahnsdorf und Wannsee schon verhältnismäßig hoch und
damit auch ein wenig leiser wären, würde das Zentrum von Zeuthen nur in einer
Höhe von durchschnittlich etwa 600 Meter überquert. Dabei seien weit mehr als
100 Familien nach Zeuthen gezogen, um vor dem Fluglärm an ihrem alten Wohnort
zu flüchten, sagt Martin Henkel vom Bürgerverein Leben in Zeuthen. Die meisten
ihrer alten Grundstücke seien weit unter Wert verkauft worden, und für den
Erwerb des neuen Heims im angeblich lärmverschonten Zeuthen hätten sich viele
Zuzügler verschuldet.
Zeuthen bleibt nur verschont, wenn die Flugsicherung zu den ursprünglichen
Routen zurückkehrt oder wenn es gelingen sollte, die startenden Maschinen fast
unmittelbar nach dem Abheben scharf nach Süden abbiegen zu lassen. Dieses
Manöver dürfte aber nicht mit allen Maschinen gelingen.
Die Flugsicherung hat die Routen so gewählt, um Parallelstarts zu ermöglichen.
Diese sind mit den ursprünglich geplanten Geradeausflügen nicht möglich, weil
die Flugzeuge gleich nach dem Start um mindestens 15 Grad abknicken müssen,
wenn sie, wie es die Lotsen ausdrücken, unabhängig voneinander starten. Die
Maschinen heben dann nicht unbedingt zeitgleich ab, aber die parallel
stattfindenden Starts müssen nicht aufeinander abgestimmt werden, was den
Betrieb erheblich beschleunigt.
Deshalb will die Flughafengesellschaft, die den Ländern Berlin und Brandenburg
sowie dem Bund gehört, auf Parallelstarts nicht verzichten. Sie seien schon mit
der Eröffnung des neuen Flughafens am Morgen zwischen 8 Uhr und 9 Uhr sowie
abends zwischen 20 Uhr und 21 Uhr erforderlich, um alle bereits
angemeldeten Flüge stattfinden lassen zu können. Etwa von 2015 an seien
Parallelstarts dann auch wahrscheinlich zwischen 12 Uhr und 14 Uhr
erforderlich.
Während auch Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit einen Verzicht auf
Parallelstarts bereits abgelehnt hat, äußerte sich Platzeck dazu auch am Samstag
nicht.
Anders als Platzeck hat Wowereit politischen Druck: Er will verhindern, dass
die Flugrouten Thema im Berliner Wahlkampf des kommenden Jahres wird.
Vorsichtshalber erklärte er, er sehe in dem Streit kein großes Wahlkampfthema:
„Das Thema ist bis dahin hoffentlich abgeräumt“, sagte er am Samstag im RBB.
Wowereit unterstrich am Samstag auf dem Landesparteitag der Berliner SPD seine
Verantwortung, dem künftigen Hauptstadtflughafen zu wirtschaftlichem Erfolg zu
verhelfen. Dieses größte Infrastrukturprojekt in Ostdeutschland müsse vollendet
werden, weil es vor allem auch Arbeitsplätze schaffe – geschätzt 40 000.
„Ich werde keine Politik mitmachen, die den Flugverkehr reduziert und Gäste
abhält“, sagte der Regierungschef zur Debatte um die umstrittenen Flugrouten.
Diese Gäste ließen auch sehr viel Geld in der Stadt. „Ohne Flughafen können
Leute nicht zu uns kommen. Da muss man mal Farbe bekennen: Will man
wirtschaftliche Prosperität oder will man sie nicht?“, sagte der
Regierungschef, der auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der
Flughafengesellschaft ist. Wowereit betonte allerdings erneut sein Verständnis
für den Protest. Er werde gemeinsam mit den Süd-Berlinern gegen eine Änderung
der aktuellen Routen kämpfen.
Brandenburgs Grüne verabschiedeten auf ihrem Parteitag (siehe Beitrag
links) am Wochenende auch einen Antrag, in dem die Landesregierung
aufgefordert wird, sich aktiv für einen Vorrang des Lärmschutzes einzusetzen.
Das bedeutet laut dem Beschluss auch ein konsequentes Nachtflugverbot von 22
bis 6 Uhr. Klaus Kurpjuweit (mit dpa und pet)