PNN 9.11.10
Von Klaus Kurpjuweit und Tobias Reichelt
Erst waren die Erwartungen groß – jetzt ist es die Ernüchterung. Im
Streit um die künftigen Routen vom und zum neuen Flughafen in Schönefeld ist
die Sitzung der Fluglärmkommission am Montag vorzeitig beendet worden – ohne
konkretes Ergebnis. Damit verliere man weitere Zeit, bis die Routen festgelegt
werden können, klagte Flughafensprecher Ralf Kunkel. Die nächste Sitzung der
Fluglärmkommission, die ohnehin nur eine beratende Funktion hat, ist für den
13. Dezember vorgesehen.
Den Teilnehmern der Sitzung, deren Mitgliederzahl von 17 auf 34 erweitert
worden war, lagen mehrere Vorschläge für alternative Routen auf dem Tisch, bei
denen möglichst wenig bewohnte Gebiete überflogen werden sollen. Die Sitzung
verlief nach Angaben von Teilnehmern ziemlich chaotisch; Vertreter von
Bürgerinitiativen, die als Gast teilnehmen wollten, wurden erst ausgeladen und
dann wieder zugelassen. Flughafensprecher Kunkel forderte das Gremium auf,
„professioneller“ zu arbeiten.
Stahnsdorfs Bürgermeister Bernd Albers (BfB) – gestern gemeinsam mit den
Bürgermeistern aus Teltow und Kleinmachnow das erste Mal in der Kommission –
hatte mehr erwartet. „Es war wie in der Schule“, sagte Albers. Zwar sei
konstruktiv gearbeitet worden, aber Ergebnisse gab es nicht. Kleinmachnows
Bürgermeister Michael Grubert (SPD) wagte einen Blick in die Zukunft: „Es
werden schwierige Verhandlungen.“ Gesprochen wurde über die Idee, das
Stimmrecht der Kommunen, nach der Lärmbetroffenheit ihrer Anwohner zu
gewichten. 20 000 Kleinmachnower würden weniger Stimmrecht erhalten, als 10 000
Mahlower, rechnete Grubert vor. „Das halte ich für schwierig, denn wir sind
davon ausgegangen, gar nicht überflogen zu werden.“
Ob das Gremium später zu einem Beschluss kommen wird, ist ungewiss. Bereits im
Vorfeld waren die Mitglieder so zerstritten, dass einige der bisherigen
Teilnehmer die Aufnahme weiterer Mitglieder, was das Infrastrukturministerium
in Brandenburg initiiert hatte, gerichtlich untersagen lassen wollten. Auf der
anderen Seite kämpfen Kommunen wie Werder (Havel) immer noch um die Aufnahme.
Immerhin: Einigkeit beweisen die Vertreter aus Potsdam, Berlin-Steglitz und dem
Teltower Dreierbündnis. Sie wollen in einem gemeinsamen Antrag dafür werben,
dass ihre Kommunen nicht überflogen werden, sagte Bürgermeister Grubert.
Ob sich die Anträge zu Alternativrouten technisch umsetzen lassen, soll
zunächst die Flugsicherung prüfen. Sie hatte selbst keine eigenen Pläne
mitgebracht, es werde aber bereits an neuen Routen gearbeitet, hieß es auf der
Sitzung. Die Flugsicherung war nach der heftigen Kritik an ihrem Konzept von
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) aufgefordert worden, zu den
ursprünglichen Plänen zurückzukehren. Dieses Ansinnen müsse nun auch die
Lärmschutzkommission aufnehmen , teilte die Flugsicherung mit. Deren Pläne
sahen vor, dass die Flugzeuge auch bei einem Parallelstart zunächst geradeaus
fliegen. So war im Genehmigungsverfahren für den Flughafen-Ausbau auch das
Lärmschutzgebiet festgelegt worden. Am 6. September stellte die Flugsicherung
ein anderes Konzept vor, wonach die Maschinen nach dem Start abknicken sollen.
Dabei würden auch bewohnte Gebiete überflogen, für die dies bisher nicht
vorgesehen war. Die Flugsicherung beruft sich dabei auf eine Regelung, auf die
von ihr schon 1998 hingewiesen worden ist.
Der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), der 1996
zusammen mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) den
Standort Schönefeld gegen den ursprünglichen Willen von Brandenburgs
Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) durchgesetzt hatte, sagte den PNN, die
neuen Sicherheitsbestimmungen seien entweder verschlafen worden oder „die
Verantwortlichen steckten den Kopf bewusst in den Sand“. Es hätte umgeplant
werden können. Selbst beim Lärmschutzprogramm sei einfach weitergemacht worden.
Dies sei mindestens eine „Schlamperei.“ Die Entscheidung für Schönefeld hält
Diepgen nach wie vor für richtig, auch wenn es seit 1996 große Veränderungen
durch die Billigflieger gegeben habe. Bei den damals diskutierten Standorten
Jüterbog, Parchim und Sperenberg wären Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft aus
Stadt und Umland abgezogen worden. Jetzt profitiere der Wissenschaftsstandort
Adlershof. Zudem wäre Sperenberg auch kein unkomplizierter Standort geworden.
Eine erneute Diskussion über den Standort schade der Hauptstadtregion, erklärte
am Montag die Flughafengesellschaft.
Auf einer Demonstration mit mehreren Tausend Teilnehmern am Montagabend in
Lichtenrade hat sich Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit erneut
gegen die geänderten Flugrouten des künftigen Großflughafens ausgesprochen. Der
SPD-Politiker sagte, er habe „hohen Respekt“ vor dem Protest der Bürger. Sie
hätten sich darauf verlassen, dass die Flugrouten so ausfallen, wie bislang im
Planfeststellungsverfahren angedacht. Nach den Worten Wowereits sind die jetzt
vorgeschlagenen Flugrouten für den Senat „inakzeptabel“. Deshalb sei die
Landesregierung dabei, zu „vernünftigen Flugrouten“ zu kommen. Rein rechtlich
könnten aber weder Senat noch das Land Brandenburg oder die
Flughafengesellschaft die Flugrouten festlegen. Deshalb seien Proteste wie die
in Lichtenrade „so wichtig“. Es gebe allerdings keine Alternative zum
bisherigen Standort Schönefeld, sagte der Regierende Bürgermeister zu
Forderungen der Demonstranten nach einem sofortigen Baustopp für BBI.
(mit asi/ball/has/dapd)