PNN 8.11.10
Von Klaus Kurpjuweit
Schönefeld - Am heutigen Montag tagt in Schönefeld die
Fluglärmkommission – zum ersten Mal, seit die Deutsche Flugsicherung (DFS) am
6. September ihren Routenvorschlag für die Flüge am künftigen Flughafen
Berlin-Brandenburg „Willy Brandt“ in Schönefeld vorgestellt hat, was eine fast
beispiellose Welle von Protesten ausgelöst hat. Die wichtigsten Punkte fassen
wir nachfolgend zusammen.
FLUGLÄRMKOMMISSION
Die Erwartungen an die Kommission sind hoch, doch ihr Einfluss ist gering. Nach
dem Luftverkehrsgesetz kann sie vorschlagen, wie der Lärm durch Flugzeuge
verringert werden kann. Lassen sich die Vorschläge aus Sicht der Flugsicherung
nicht umsetzen, teilt diese dies dem Gremium unter Angaben der Gründe mit. „Das
ist es dann aber auch schon“, dämpft der stellvertretende Vorsitzende der
Schönefelder Lärmschutzkommission, Winfried Seibert, die zum Teil hohen
Erwartungen. Seibert ist Rechtsanwalt in Köln und engagiert sich seit Jahren in
der Bundesvereinigung gegen Fluglärm. Der Vorsitzende des Gremiums, der Blankenfelder
Ortsvorsteher Bernd Habermann, rechnet nicht damit, dass heute schon
alternative Routen diskutiert werden. Mitglieder sind Vertreter lärmbetroffener
Kommunen, Verwaltungen, Fluggesellschaften und Verbänden, die Flugbereitschaft
des Bundes, der Flughafen sowie die Bundesvereinigung gegen Fluglärm. Das
Infrastrukturministerium von Brandenburg hat die Zahl der Mitglieder von 17 auf
34 verdoppelt. Bürgerinitiativen sind nicht vertreten.
FLUGSICHERUNG
Die Deutsche Flugsicherung GmbH ist ein bundeseigenes, privatrechtlich
organisiertes Unternehmen mit 5800 Mitarbeitern, das dem
Bundesverkehrsministerium untersteht. Der Versuch der Bundesregierung, die DFS
zu privatisieren, war 2006 am Veto des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler
gescheitert. Kaufinteressenten waren dem Vernehmen nach unter anderem die
Lufthansa und der Flughafen in Frankfurt (Main). Die DFS sichert täglich bis zu
10 000 Flüge im deutschen Luftraum und überwacht den Verkehr am Boden. In
Schönefeld wird derzeit ein 72 Meter hoher Kontrollturm für die DFS gebaut.
NEUE ROUTEN
Im Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Schönefelds, dem eines der bisher
aufwändigsten Anhörungsverfahren vorausgegangen war, sahen die Pläne vor, dass
die Flugzeuge nach dem Start kilometerweit geradeaus fliegen. So schien klar zu
sein, wer den Krach am Himmel abbekommen würde: vor allem die Gemeinde
Blankenfelde-Mahlow, über die die Maschinen in einer Höhe von etwa 600 Metern
donnern sollten und die deshalb zum großen Teil im Lärmschutzgebiet liegt. Die
endgültige Routenbestimmung ist aber vom Genehmigungsverfahren für den
Flughafen entkoppelt.
Die Flugsicherung lässt die Flugzeuge jetzt nach dem Start voneinander abrücken
und beruft sich dabei auf internationale Vorgaben für die vorgesehenen Parallelstarts
von beiden Bahnen. Demnach muss dabei ein Winkel von mindestens 15 Grad
erreicht werden. Nach den Plänen der Flugsicherung werden es aber im Westen
mehr als 40 Grad. Dadurch bekommt Blankenfelde-Mahlow weniger Lärm ab, der
Krach verlagert sich jedoch bei Starts von der Nordbahn gen Westen nun Richtung
Berlin. Betroffen sind vor allem Lichtenrade, Lichterfelde und Wannsee in
Berlin sowie Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf im Umland. Im Osten liegt vor
allem Zeuthen unter den neuen Routen. Wie laut es dort jeweils werden wird, ist
noch nicht ermittelt, während die Werte für die bisher vorgesehenen
Überfluggebiete rechnerisch exakt erfasst worden sind.
Foto: dpa/Grafik FBS
ALTERNATIVEN
Die Flugsicherung hat ihre Routen ausdrücklich als Vorschlag bezeichnet, der
nun in der Lärmschutzkommission und mit dem Umweltbundesamt diskutiert werden
solle. Inzwischen gibt es zahlreiche Änderungsvorschläge, die das Ziel haben,
möglichst viele bewohne Gebiete zu umfliegen. Nach Ansicht der
Flughafengesellschaft bleibt dabei ein unabhängiger Parallelstart, wie er
gerichtsfest genehmigt ist, erforderlich. Bei einem Verzicht könnten auf dem
neuen Flughafen nicht mehr als 40 Maschinen in der Stunde starten, sagt
Flughafensprecher Ralf Kunkel. Weniger als heute in Tegel (30) und Schönefeld
(20) zusammen. Schon zur Eröffnung seien nach den Plänen der Fluggesellschaften
aber bis zu 49 gleichzeitige Starts erforderlich – morgens zwischen 8 Uhr und
9 Uhr sowie abends von 20 Uhr bis 21 Uhr. Von 2015 an seien solche
unabhängigen Starts auch zwischen 12 Uhr und 14 Uhr nötig. Bei einem Verzicht
auf Parallelstarts wäre die geplante Drehkreuzfunktion gefährdet und Wachstum
ausgeschlossen. Kunkel forderte erneut „maßgeschneiderte Lösungen. Nach
Informationen dieser Zeitung gibt es zum Beispiel in München 18 verschiedene
Abflugverfahren – auch mit Parallelstarts.
JETZIGE ROUTEN
Auch heute kurven Flugzeuge nach dem Start in Schönefeld oder Tegel in
unterschiedlichen Höhen über die Stadt. Besonders voll am Himmel war es am Tag
des Endspiels bei der Fußball-Weltmeisterschaft am 22. Juni 2006, als auch noch
der Flughafen Tempelhof in Betrieb (siehe Grafik) war. Annahmen von Anwohnern,
in den vergangenen Monaten habe der Flugverkehr über der Stadt erheblich
zugenommen, weil Routen geändert worden seien, wies die Flugsicherung schon
zurück, bevor sie ein Sprechverbot von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer
(CSU) erhielt.
DER BUNDESMINISTER
In den Routenstreit hat sich Ramsauer am 28. Oktober eingemischt und die
Flugsicherung aufgefordert, zu den alten Plänen zurückzukehren, auf die sich
die Anwohner bisher verlassen hätten. Nur so könne das Vertrauen in die Politik
wiederhergestellt werden. Nun kann der Minister der ihm unterstellten Behörde
zwar keine Weisungen erteilen, und zu Flugrouten, bei denen Sicherheit an
erster Stelle steht, erst recht nicht. Doch wird sich eine Behörde, auch wenn
sie privatrechtlich organisiert ist, kaum über ein solches Minister-Ansinnen
hinwegsetzen. Ähnlich klare Ansagen in strittigen Fällen hat die ebenfalls
privatrechtlich organisierte Bahn AG übrigens noch nicht erhalten. Und am
Schluss hat der Minister doch das letzte Wort: Die Routen werden endgültig vom
Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung festgelegt, das dabei auch prüft, ob die
DFS planungsrechtliche Vorgaben beachtet hat. Und diese Behörde ist
weisungsgebunden.
DIE ZUKUNFT
Egal, wie die Routen festgelegt werden: Verlassen können sich die Anwohner
darauf nicht. Die Vorgaben sind nicht in Stein gemeißelt, sondern sie können
stets dem Bedarf angepasst werden.