PNN 3.11.10
Von Klaus Kurpjuweit, Matthias Matern und Tobias Reichelt
Berlin - Bei der Flugroutendiskussion zum künftigen Flughafen in Schönefeld
gerät jetzt zunehmend die Flughafengesellschaft unter Druck. Sie müsse
nachweisen, warum sie auf Parallelstarts, die die Flugzeuge auf andere Kurse
als bisher angenommen zwingt, nicht verzichten könne, forderten Betroffene,
unterstützt von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) am
Dienstagabend auf einer Veranstaltung der örtlichen SPD in Wannsee.
Bei einem Verzicht auf Parallelstarts würden der Süden Berlins und die
angrenzenden Gemeinden in Brandenburg vom Fluglärm fast befreit; den vollen
Krach bekämen dafür die Bewohner von Blankenfelde-Mahlow und der nördliche
Bereich von Eichwalde ab.
Das Misstrauen sitzt tief: Auch nach der Aussage von Bundesverkehrsminister
Peter Ramsauer (CSU), bei der Flugroutendiskussion für den neuen Flughafen in
Schönefeld zurück zur ursprünglichen Planung zu kehren, kamen über 300
Routenkritiker zur vom SPD-Abgeordneten Holger Thärichen organisierten
Diskussionsveranstaltung. Die Flugsicherung, die die neuen Routen vorgeschlagen
hat, die unter anderem über Wannsee und Kleinmachnow führen sollen, war nicht
vertreten.
Die Flugsicherung setze nur um, was die Politik bestelle, kritisierte die
Gründerin und Vorsitzende der Initiative „Keine Flugrouten über Berlin“, Marela
Bone-Winkel. Dazu gehöre der Wunsch des neuen Großflughafens nach
Parallelstarts. Für diesen Fall schreiben die internationalen Regeln vor, dass
die Flugzeuge nach dem Abheben um mindestens 15 Grad voneinander abdrehen
müssen, was am Boden den betroffenen Lärmkorridor erweitert. Die Planer für den
Flughafen hatten trotzdem einen Geradeaus-Start als Basis ihres Konzepts
gewählt. Bei einem Verzicht auf Parallelstarts wären die Geradeaus-Flüge wieder
möglich.
Flughafensprecher Ralf Kunkel verwies darauf, dass Parallelstarts zunächst nur
am Morgen und am Abend und später vielleicht auch gegen Mittag erforderlich
seien. Also demnächst den ganzen Tag, folgerte man im Publikum. Junge-Reyer
versuchte einen Spagat. Die wirtschaftlichen Interessen des Flughafens, zu denen
die Parallelstarts gehören, müssten gegenüber dem Lärmschutz für Anwohner
zurückstehen, andererseits müsse der Flughafen aber ein „Wirtschaftsmotor“
bleiben. Junge-Reyer forderte, jeden Routenvorschlag mit Zahlen zu den
Betroffenen und deren Lärmbelastung zu unterlegen. Zusammen mit Brandenburg sei
der Senat auch bereit, bei Zweifeln solche Angaben durch externe Gutachter
prüfen zu lassen.
Inzwischen sprach sich die brandenburgische Linken-Landtagsabgeordnete Kornelia
Wehlan für ein komplettes Nachtflugverbot am neuen Hauptstadtflughafen aus.
Weiterer Streit hat sich auch im Vorfeld der nächsten Sitzung der
Fluglärmkommission am Montag angekündigt. Laut Medienberichten wollen die
Gemeinden Blankenfelde/Mahlow, Großbeeren und Ludwigsfelde mit einer einstweiligen
Verfügung verhindern, dass die Kommission um die neu betroffenen Berliner
Bezirke und Umlandkommunen erweitert wird. Der Vorsitzende des Gremiums, der
Blankenfelder Bernd Habermann, zeigte sich gestern von dem Schritt noch
überrascht, begrüßte ihn aber. „Das wäre voll in meinem Sinne.“
Die Fluglärmkommission sei mit 34 Mitglieder kaum noch steuerbar, so Habermann.
Zudem sei es ungerecht, jeder Kommune das gleiche Stimmrecht zu erteilen. Das
Mitspracherecht in der Kommission sollte sich an der tatsächlichen
Lärmbelastung messen. Gleichzeitig wies Habermann Rücktrittsforderungen an ihn
zurück. „Das ist kompletter Unsinn.“ Er treffe keine selbstherrlichen
Entscheidungen, sondern sei Moderator. Viele neue Mitglieder würden die Macht
der Komission überschätzen. „Wir arbeiten seit zehn Jahren und nie wurde einer
unserer Vorschläge beachtet.“