PNN 21.10.10
Von Klaus Kurpjuweit
Potsdam-Mittelmark/Berlin - War alles nur ein Irrtum? Beim Erarbeiten
ihrer Vorschläge für die künftigen Flugrouten von und zum neuen Flughafen in
Schönefeld hat die Flugsicherung nach PNN-Informationen zum Teil auf veraltetes
Kartenmaterial zurückgegriffen, was der Sprecher der Flugsicherung, Axel Raab,
allerdings dementiert. Ziel der Flugsicherung war es, möglichst viele Menschen
vom extremen Lärm beim Start zu entlasten. Nach Angaben von Experten wird beim
Vorschlag der Flugsicherung aber auch dieser Krach am Himmel nur verlagert –
und insgesamt werden mehr Berliner und Brandenburger belastet.
Die Flugsicherung meinte es gut und wollte die Startrouten an
Blankenfelde-Mahlow vorbeiführen, die nach den Plänen aus dem
Genehmigungsverfahren für den Flughafenbau in einer Höhe von lediglich etwa 600
Metern überflogen werden sollten. Dabei konnten die Planer auch auf die
international gültige Vorgabe zurückgreifen, wonach bei einem gleichzeitigen
Start von Maschinen auf beiden Bahnen die Flugzeuge nach dem Abheben um
mindestens 15 Grad voneinander abdrehen müssen, um sich nicht gegenseitig zu
gefährden. Die Flugsicherung hat den Abdrehwinkel auf mehr als 30 Grad
erweitert, um Blankenfelde-Mahlow im Norden und Süden beim Start umkurven zu
können.
Im südlichen Bereich geht diese Rechnung auch auf; die Maschinen fliegen in der
Regel über unbewohnte Gebiete. Im Norden der Kommune würden dagegen jetzt
Neubaugebiete überflogen, die dort in der Annahme entstanden sind, vom
Flugverkehr verschont zu werden. Damit gebe es zwar im Zentrum weniger Lärm,
als bisher vorgesehen war, argumentieren Experten, doch dafür müssten nun die
Bewohner im Norden den extremen Krach beim Start ertragen. Besonders betroffen
sind Bewohner im südlichen Teil von Lichtenrade, sowie Kleinmachnow, Teltow,
Stahnsdorf und Wannsee.
Diese Folgen hat die Flugsicherung nach Ansicht von Insidern nicht
berücksichtigt, weil ihre Berechnungen auf veraltetem Kartenmaterial basierten.
So sind beispielsweise Kommunen wie Teltow und Stahnsdorf auf Karten der
Flugsicherung nur als Punkt eingezeichnet. Im Computerprogramm, das auch die
Lärmbelastung simuliert habe, seien aber immer die neuesten Einwohnerdaten
eingegeben worden, entgegnet Raab. Die Flugsicherung werde aber auch andere
Vorschläge prüfen, sagte Raab. Ihr bisheriges Konzept sei nur ein erster
Entwurf, der nun in der Lärmschutzkommission diskutiert werde. Auch das
Umweltbundesamt wird angehört. Die Routen legt dann das Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung endgültig fest. Klagen sind möglich.
Eine Alternative zu dem bisherigen Vorschlag ist nach Ansicht von Experten,
dass die Flugzeuge beim Start von der nördlichen Startbahn Richtung Westen
weiter – wie im Genehmigungsverfahren angenommen – geradeaus fliegen und damit
den Berliner Süden umfliegen. Die von der südlichen Startbahn abhebenden
Maschinen könnten dagegen wie geplant um 15 Grad abdrehen. Die internationalen
Vorgaben wären auch dann erfüllt.
Den vollen Krach beim Start bekämen dann aber die Bewohner im Zentrum von
Blankenfelde-Mahlow ab, deren Häuser beim Landen ohnehin überflogen werden.
Beim Landen gilt die 15-Grad-Abweichung nicht; hier müssen die Flugzeuge
mindestens rund 18 Kilometer vor der Landebahn geradeaus auf diese zufliegen,
um von den Instrumenten erfasst werden zu können. Andere Landeverfahren werden
erst erprobt.
Der brandenburgische Verkehrsstaatssekretär Rainer Bretschneider forderte jetzt
dazu auf, bei allen Varianten die exakte Zahl der Lärmbetroffenen zu ermitteln,
um sich dann entscheiden zu können. Für den Vorsitzenden der Schönefelder
Lärmschutzkommission, Bernd Habermann aus Blankenfelde, ist klar: Sollten die
Routen doch übers Zentrum von Blankenfelde-Mahlow geführt werden, müssten die
Bewohner umgesiedelt werden, immerhin rund 20 000.
Indes spaltet die Forderung der Bürgermeister der Region Teltow nach einem
Baustopp am Flughafen die Politik vor Ort. Nach ersten Bürgerinitiativen macht
jetzt auch Teltows Linken-Chef Steffen Heller Bedenken laut: Er fürchtet
Auswirkungen der Baustopp-Forderung auf die Bewerbung der Region beim Land um
die Anerkennung zum Regionalen Wachstumskern – der Status verspricht Zugang zu
Fördertöpfen. „Eine Region, die als Regionaler Wachstumskern anerkannt werden
will, darf sich solche Kapriolen nicht leisten“, mahnte Heller. (mit tor)