PNN 19.10.10
Von Tobias Reichelt
Teltow - Sie knatterten und ratterten, flogen dicht über die Dächer
der Stadt, landeten mal hier, mal dort – wo sich ihnen ein Platz bot – und
zogen Scharen beigeisterter Zuschauer in ihren Bann: Flugzeuge über Teltow.
Während die Teltower heute vehement gegen den drohenden Fluglärm vom künftigen
Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg International protestieren, bejubelten
ihre Vorfahren die Piloten in ihren Maschinen. Fluglärm über Teltow war vor
einhundert Jahren eine wahre Attraktion. Auf dem Flugfeld am Rande der Stadt
wurden Rekorde gebrochen, der erste Nachtflug gestartet und in großen Hangars
Doppeldecker konstruiert – ein fast vergessener Teil der Geschichte.
„Jeder der damals was auf sich hielt, hat Flugzeuge gebaut“, erzählt Teltows
Heimatvereinschef Peter Jaeckel die Geschichte vom einstigen Briefträger Gustav
Witte. Er war es, der auf dem im Oktober 1910 gegründeten „Flugübungsfeld
Teltow“ mit seiner Pilotenschule für den entscheidenden Entwicklungsschub
sorgte. Gemeinsam mit seinem Freund Carl Mohus hatte sich Witte einen stark
beschädigten Flugapparat der Gebrüder Wright gekauft und repariert. Witte, der
noch nie ein Flugzeug geflogen hatte, verpasste dem Fluggerät einen stärkeren
Motor und eine bessere Kühlung, ehe er sich im Selbstversuch in die Lüfte
wagte. Im Jahr 1911 flog er auf einem seiner ersten Flüge von Frankfurt/Oder
nach Teltow. Dabei erwarb Witte sein „Flugmaschinenführerzeugnis“. Auf dem
Teltower Flugübungsfeld am Ende der heutigen Beethovenstraße, die damals noch
Flugplatzstraße hieß, fand Gustav Witte nahezu ideale Bedingungen für seine
Berufung vor. Neben dem großen Acker zum Starten und Landen gab es drei
Flugzeug-Hangars, eine Tribüne für Flugschauen, ein Kassenhäuschen und eine
Flieger-Kneipe – was fehlte, war eine Flugschule.
Unter Fluglehrer Witte nahm die Zahl der Piloten in und rund um Teltow schnell
zu, erzähltJaeckel „Ein Pilot kam aus Kleinmachnow“, weiß er. „Da kam es schon
mal vor, dass sich seine Kollegen bei ihm zum Kaffeetrinken verabredeten.“ Mit
ihren Fluggeräten schwebten sie in Kleinmachnow ein, landeten unweit des Hauses
auf einem freien Acker. „So war das damals.“ Vor ein paar Jahren konnte sogar
noch ein Mitglied des Heimatvereins von seinen ersten Flugerfahrungen
berichteten: Als Junge hatte er einen Piloten beobachtet, wie er am
Biomalz-Gelände landete. Als er näher kam, sprach ihn der Pilot an. „Willste du
eine Runde fliegen?“, erzählt Jaeckel die Geschichte von seinem Bekannten.
„Ohne dass die Eltern davon wussten, nahm er den Jungen mit und brachte ihn
wohlbehalten zurück.“
Viele Einwohner der Stadt waren stolz auf ihren Flugplatz, sagt Jaeckel.
Etliche Postkarten der Zeit warben mit Flugzeugen am Himmel. „Es konnte gar
nicht laut genug sein“, so der Heimatforscher. Auch ein Nachtflugverbot kannte
man nicht. Im Gegenteil: Gustav Witte war es, der im März 1912 in Teltow zum ersten
Nachtflug der deutschen Fliegergeschichte startete. Damit ging er in die
Geschichtsbücher ein, verunglückte aber schon wenige Tage später tödlich vor
einer Flugschau. Doch auch nach Wittes Tod entwickelte sich der Teltower
Flugplatz weiter. 1912 gründeten sich die „Union Flugzeugwerke“. In den
Teltower Hangars wurden „Pfeildoppeldecker“ hergestellt, über 400 Menschen
waren beschäftigt. Die Flugzeuge durchbrachen mehrere Höhenrekorde der Zeit. Im
Jahr 1913 wurden in Teltow 1434 Starts durchgeführt. Auch ein viermotoriger
Doppeldecker-Bomber wurde gefertigt, kam aber nie zum Einsatz. Der Holzflieger
war zu langsam und stürzte ab. „Es war eine Zeit, in der Teltow mit seinem
Flugbetrieb etwas bedeutete“, sagt Jaeckel. Erst mit dem Ende des Ersten
Weltkrieges wurde das vorerst letzte Kapitel der Teltower Fluggeschichte
geschrieben. Die Betriebe gingen in Konkurs, statt Fliegern wurden wieder
Pferde und Pflanzen auf den Äckern entdeckt. Endgültig aufgelöst wurde der
Flugplatz nach dem Zweiten Weltkrieg.
Jahrelang war dann von tieffliegenden Flugzeugen über Teltow keine Rede mehr,
sagt Heimatvereinschef Jaeckel. „Wäre es doch bloß so geblieben.“ Auch er war
schon gegen die Flugrouten-Entwürfe über Teltow demonstrieren. Zu vergleichen
wäre der Krach von damals mit dem jetzt drohenden Lärm nicht, sagt er. „Vor
hundert Jahren flogen die Flugzeuge ja nicht so oft, wie bald vom BBI.“