Von Andreas Conrad
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Kleinmachnow - Von hier oben, aus den Fenstern des alten
Kommandantenturms, konnte man die Säule mit dem Staatswappen der DDR früher
wohl sehen. Seither hat sich der Damm einer Brücke davorgeschoben, Verbindung
zwischen Kleinmachnow und dem Gelände der ehemaligen Grenzübergangsstelle
Drewitz, und ohnehin wäre nur noch ein betonumrundetes Loch auszumachen: keine
DDR, kein Staatswappen. Auch sonst stößt der umherschweifende Blick auf fast
nichts, was noch an die Teilung erinnerte. Firmen wie Ebay, Porsche, McDonald’s
haben sich im Europarc Dreilinden angesiedelt, unvorstellbar, dass sich hier
einst die Westautos dicht an dicht durchquälten.
„Vom Turm konnte man die ausfahrbaren Sperren auslösen.“ Die Turmgeschichte
kennt Harry Hartig, zweiter Vorsitzender des Vereins Checkpoint Bravo, genau.
Manche Besucher halten ihn, den Ex-Offizier der Grenztruppen, sogar für den
ehemaligen Kommandanten des Grenzübergangs, was nicht stimmt: „Hier hatte ich
nichts zu sagen.“ Und noch so ein Missverständnis sei es, im Turm nur ein
Museum zu sehen. Der Verein betreibe hier die „Erinnerungs- und
Begegnungsstätte Grenzkontrollpunkt Drewitz-Dreilinden“, besonders aufs zweite
Ziel legt Hartig wert.
An diesem Herbsttag, während unentwegt der Verkehr vorüberbraust, begegnen sich
altes und neues Kleinmachnow. Auf der einen Seite Harry Hartig, 82, in der an
Zehlendorf grenzenden Gemeinde seit 55 Jahren wohnhaft, auf der anderen Christian-Peter
Prinz zu Waldeck, 64, hergezogen vor elf Jahren. Beide ehemalige
Berufsoffiziere, jeweils als Oberstleutnant verabschiedet. Und doch kann man
sich ihre Lebenswege unterschiedlicher kaum vorstellen. Hartig hatte das
Kriegsende bei der Marine erlebt, wollte nie wieder eine Waffe anfassen, trat
1946 der SED bei, die sich, wie er sagt, klar gegen jeden weiteren Krieg
ausgesprochen habe. 1948 wurde er Volkspolizist, bald schon an der Grenze. Im
Jahr des Mauerbaus gliederte man die Grenzpolizei der NVA an. Hartig, erst in
Ost-Berlin und Teltow stationiert, wechselte 1970 als stellvertretender
Direktor ins Militärarchiv Potsdam, blieb bis April 1990. Prinz zu Waldeck
dagegen diente bei der Panzertruppe der Bundeswehr, angesichts des sowjetischen
Einmarschs in Prag 1968 hatte er sich entschieden, Berufssoldat zu werden. Am
2. Oktober 1990 wurde er nach Eggesin abkommandiert, um ein NVA-Regiment
umzugliedern, arbeitete im Verteidigungsministerium, erst in Bonn, zuletzt in
Berlin, dazwischen als Militärattaché in Süd-Korea. 2003 schied er aus.
Besonders für Hartig war das Wendejahr auch persönlich ein Einschnitt:
Entlassung. „Die ersten Tage fühlte ich mich wie mit einem Brett vor dem Kopf.“
Es ging dann doch weiter und gar nicht schlecht: Die ersten Wahlen zur
Gemeindevertretung standen an, Hartig wurde von der PDS aufgestellt und
gewählt, blieb bis 2007 in der Kommunalpolitik. Anfangs war das mühsam.
Plötzlich war er stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses, „aber
ich hatte überhaupt keine Ahnung von Finanzen“, was erst ein Fachschullehrgang
änderte. Den Kollegen ging es nicht besser, kopfschüttelnd standen sie bei der
Grundsteinlegung des Seniorenwohnstifts Augustinum vor der Riesengrube: „Oh
Gott, was haben wir denn da genehmigt!“
Aber das größte Problem sei „die Beseitigung des Frusts hier in Kleinmachnow“
gewesen, die massiveVerbitterung, ausgelöst durch die zahlreichen
Restitutionsansprüche der Hausbesitzer aus dem Westen, die nach der Wende ihr
Eigentum zurückforderten in oft fragwürdigem Stil. Auch Hartig hatte sich in
der Initiative „Bürger gegen Vertreibung“ engagiert, war dabei, als der
damalige Bundesbauminister Klaus Töpfer sich in den Kleinmachnower
Kammerspielen dem Volkszorn stellte. Von Töpfer sei der Tipp gekommen, wie das
Problem zu lösen sei: Verkauf von Gemeindeland an Alteingesessene zu günstigen
Bedingungen – der Anfang der Siedlung „Stolper Weg“. Es gab einen eigenen
Ausschuss, Hartig leitete ihn, und trotz der „schweren Karambolagen“, die er
erlebte, Vorwürfe von Bürgern, die den Umschwung, die Bedeutung von
Grundeigentum nicht verstanden hätten, zieht er eine positive Bilanz: „Mit der
Siedlung ist Ruhe eingekehrt.“ Auch persönlich ist er zufrieden. Von der
Altbesitzerin seines Wohnhauses vor die Alternative „kaufen oder ausziehen“
gestellt, hatte auch er am Stolper Weg gebaut , „mitten im Grünen“ – nicht
alle konnten sich diese Lösung leisten. Eins aber ärgert ihn: wenn mal wieder
das gehässige Wort „Vertriebenensiedlung“ fällt. „Wir fühlen uns nicht wie
Vertriebene.“
Als Christian-Peter Prinz zu Waldeck 1999 in Kleinmachnow ein Haus baute, hatte
sich die Aufregung um die vermeintliche „Vertreibung“ schon gelegt.
Ressentiments gegenüber dem Wessi? Nein, das hat er nie erlebt, im Gegenteil.
So wurden er und seine Frau im Kleinmachnower Tennisverein, bei dem er
vorsprach, gleich „super aufgenommen“ und „unglaublich fair“ behandelt: „Ich
behaupte mal: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ Umgekehrt
sah er sich anfangs mit der Frage konfrontiert, wie man mit den Ossis denn
zusammenleben könne. „Da habe ich immer massiv dagegengehalten.“
Einige Betonköpfe, bei Alteingesessenen wie Zuzüglern, gebe es noch immer,
repräsentativ seien sie nicht, sind sich die beiden einig. „Das Trennende
verschwindet immer mehr“, sagt Harry Hartig, und Prinz zu Waldeck, der sich als
„glühenden Anhänger der Wiedervereinigung“ sieht, stimmt ihm zu. Auch mit der
Wohnqualität Kleinmachnows sind beide hochzufrieden, und wenn der eine die
„tolle Kameradschaft“ am Stolper Weg lobt, schwärmt der andere vom „friedlichen
Miteinander“ im Ort. Was nicht ausschließt, dass unterschiedliche Biografien
auch unterschiedliche Urteile über Vergangenheit und Gegenwart provozieren: Der
DDR spricht Hartig, ehemaliger NVA-Offizier, noch immer Friedenswillen zu. Da
muss einer, der wegen des Einmarschs in Prag 1968 Berufssoldat bei der
Bundeswehr wurde, strikt widersprechen. Und schon sind die beiden bei den
Militäreinsätzen in Ex-Jugoslawien und Afghanistan, ihrer Legitimität, ihrem
Sinn. Meinung steht gegen Meinung. Das ist eben Demokratie.