PNN 15.10.10
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Der Landkreis Potsdam-Mittelmark hat einen Aufnahmestopp für die
Albert-Schweitzer-Förderschule in Kleinmachnow verhängt und begründet das mit
zu geringen Schülerzahlen. Ist der Bedarf an einer Schule für geistig
behinderte Kinder tatsächlich so gering, dass sie geschlossen werden muss?
Das hängt immer vom Einzelfall ab. Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren,
wie das in Kleinmachnow ist, aber aus meinem eigenen Erleben kann ich sagen:
Ich halte die Schulschließung für nicht notwendig, es ist sogar
kontraproduktiv. Damit produzieren wir Ängste bei den betroffenen Eltern.
Das Schulamt hat Förderschulen zu Auslaufmodellen erklärt. Ziel ist der
gemeinsame Unterricht an Regelschulen, die sogenannte „inklusive Schule“. Dafür
werden Sonderpädagogen eingestellt, reicht das?
Ich würde bestreiten, dass die Förderschule ein Auslaufmodell ist. Der Weg
zur Inklusion ist lang. Bis ich ein schwerbehindertes Kind in eine Regelschule
geben kann, muss diese Schule, baulich, organisatorisch, finanziell, personell
ausgestattet sein. Das sind die wenigsten Schulen bisher. Deshalb jetzt von
einem Auslaufmodell zu sprechen, halte ich für schwierig. Solange die
Voraussetzungen nicht gegeben sind, bedarf es spezieller Förderschulen für
diese Kinder.
Also ist Inklusion der falsche Weg?
Nein. Inklusion heißt für mich gleichberechtigte Teilhabe am Leben. Das ist
auch unbedingt zu unterstützen und zu fördern. Aber: Bevor ich dieses Ziel
erreiche, muss ich den besonderen Bedingungen dieser Kinder gerecht werden. Das
schwerbehinderte Kind kann nicht den ganzen Tag im Rollstuhl sitzen. Es kann
nicht ständig dem Unterricht folgen. Ich muss den Unterricht dort anders
vermitteln. Das heißt ich brauche spezielle Lehrer oder Lehrer die dafür
ausgebildet sind. Es kann sogar soweit gehen, dass in der Regelschule ein
Ruheraum eingerichtet wird.
Wie viele Regelschulen in Brandenburg erfüllen denn schon die Voraussetzung,
um schwerbehinderte Kinder aufzunehmen?
Wir haben insgesamt 15760 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in
Brandenburg. Davon sind bereits 36,5 Prozent im gemeinsamen Unterricht. Wir
müssen aber deutlich unterscheiden: Das sind meist Kinder, die schlecht hören,
sprechen oder sehen. Von den Kindern mit geistiger Behinderung – das sind
derzeit 2824 – sind die wenigsten an Regelschulen untergebracht. Ich persönlich
kenne nur eine Schule, die die Voraussetzungen für diese Kinder bieten kann.
Das ist die Bauhausschule in Cottbus.
Sollte die Kleinmachnower Förderschule tatsächlich geschlossen werden, gibt
es noch Förderschulen in Potsdam, Bad Belzig, Ludwigsfelde und Jüterbog. Für
alle wären lange Anfahrtswege zu bestreiten.
Ganz genau. Das ist der kritische Punkt. Ich habe das mit meinem
behinderten Sohn selber durch. Ich kann Kinder mit Handycap nicht eine halbe
Stunde oder länger zur Schule fahren, anschließend ausladen, hochbringen und
dann sollen sie dem Unterricht folgen. Das geht gar nicht, das kann man den
Kindern nicht antun.
Sie haben bei ihrem behinderten Sohn selbst miterlebt, wie es ist, wenn die
Förderschule dicht macht. Wie schwer war das?
Die vertraute Umgebung bricht weg. Es hat ein Jahr gedauert, bis er
überhaupt wieder in der Lage war, dem Unterricht zu folgen. Das Anfallsleiden
hat sich verstärkt, er hat schlecht geschlafen und viel geweint. Das sind ganz
enorme Auswirkungen, die sind zwar sicher von Kind zu Kind unterschiedlich,
aber bei meinem Sohn hat das ganz dramatische Auswirkungen gehabt. Ich glaube
deshalb sind die Eltern der Kinder der Albert-Schweitzer-Schule empört.
Inklusion kann nicht heißen, dass wir auf einem Schlag alle Förderschulen zu
machen und sagen, jetzt verteilen wir alle Kinder. Das geht nicht.
Bleibt also die Forderung, die Albert-Schweitzer-Schule zu erhalten?
Man muss die Ängste der Eltern zur Kenntnis nehmen. Das ist zwar nur eine
kleine Personengruppe, aber noch mal ganz deutlich: Eine Gesellschaft, die
ihren Schwächsten nicht die Hilfe gibt, die sie geben kann, das ist schlimm.
Solange es keine Regelschulen gibt, die diese Kinder normgerecht aufnehmen
können, sollten wir diese Schule noch belassen.
Auch der Kreis-Bildungsausschuss will sich in seiner nächsten Sitzung mit der
Albert-Schweitzer-Förderschule befassen. Das Interview führte Tobias Reichelt