PNN 13.10.10
Von Claus-Dieter Steyer
Potsdam-Mittelmark/Berlin - Die Angst vor dem drohenden Fluglärm
des Großflughafens in Schönefeld könnte zu einer bislang einzigartigen
Protestbewegung beiderseits der südlichen Berliner Stadtgrenze führen. Am
Freitag wird erstmals der Versuch unternommen, die bislang weitgehend örtlich
begrenzt wirkenden Bürgerinitiativen an einen Tisch zu bekommen. Die Markthalle
des Schlosses Diedersdorf bietet jedenfalls ab 18 Uhr genügend Platz für eine
mögliche Allianz, die dann mehrere Hunderttausend Einwohner vertreten würde.
Seit der Veröffentlichung der möglichen An- und Abflugrouten zum Großflughafen
in Schönefeld durch die Flugsicherung Anfang September haben sich mindestens 30
Bürgerinitiativen in Berlin und Brandenburg gegründet. Zwischen Eichwalde und
Zeuthen im Osten über Lichtenrade, Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow bis nach
Wannsee, Potsdam oder Kladow regt sich eine mehr oder minder heftige Ablehnung
der vorgeschlagenen Flugkorridore, die mehr Menschen als bisher angenommen um
ihre Ruhe bringen könnten.
Die Einladung hat der Bürgerverein Berlin-Brandenburg verschickt, der von
Blankenfelde-Mahlow aus einen Flughafenbau in Schönefeld von Anfang an
verhindern wollte. Bislang erhielt er von den Nachbarorten nur geringe
Unterstützung. Ferdi Breidbach, seit Jahren bekanntester Kopf der
Flughafengegner, forderte jüngst auf einer Bürgerversammlung eine „gemeinsame
Strategie für einen sofortigen Baustopp und ein Nachtflugverbot“. Vor allem
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs
Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) müssten zu Abstrichen in der
bisherigen Planung bereit sein. Allerdings werde es nicht ganz leicht fallen,
in der Frage der Flugrouten eine Einigung der Bürgerinitiativen zu erzielen.
„Im Zweifelsfall handelt da jeder nach dem Sankt-Florians-Prinzip“, meinte er.
Das Treffen am Freitagabend erhält durch die Auftritte von Wowereit und
Platzeck im Besucherzentrum in Schönefeld wenige Stunden zuvor noch eine
zusätzliche Brisanz. Beide Politiker nehmen an der Tagung des sogenannten
Dialogforums über die Auswirkungen des Flughafenbaus teil. In diesem Gremium
sind die Bürgermeister von zwölf Städten und Gemeinden, die Bezirksämter
Neukölln, Schöneberg-Tempelhof und Treptow-Köpenick, drei Landkreise, das
Brandenburger Infrastrukturministerium, die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, das Bundesverkehrsministerium und die Flughafengesellschaft
vertreten. „Die Tagung ist nicht öffentlich“, teilte Dorothea Lawrenz von der
Geschäftsstelle des Dialogforums mit. Hinterher werde es eine Pressekonferenz
geben. Proteste von Bürgerinitiativen seien bisher nicht bekannt.
Derzeit versuchen aber noch viele Gemeinden, das drohende Fluglärm-Unheil im
Alleingang abzuwenden. Besonders stark ins Zeug legen sich vor allem die
Bürgermeister von Großziethen, Stahnsdorf, Teltow und Kleinmachnow. Hier haben
sich in den vergangenen Jahren Tausende Berliner ein Grundstück und ein Haus
gekauft. Keiner hat damit gerechnet, dass dort Maschinen entlangfliegen
sollten. „Ich habe 1999 ein Grundstück im Süden Berlins gesucht und bin nach
dem Studium aller mir zugänglichen Unterlagen auf das von Fluglärm freie
Stahnsdorf gekommen“, sagt etwa Einwohner Claus-Peter Martensen. „Nun bin ich
erschüttert darüber, dass ich jährlich 360 000 Flüge direkt über meinem Haus
ertragen müsste.“
In einer Presseerklärung forderte die Stahnsdorfer Bürgerinitiative gestern die
Rückkehr zu den ursprünglich geplanten Flugrouten, auf die sich Zehntausende
von Bürgern, zwei Landesregierungen, zahlreiche Kommunen und die Region Teltow,
Kleinmachnow, Stahnsdorf eingestellt und verlassen hätten. Die brandenburgische
Landesregierung wird aufgefordert, alles zu tun, „um die Verlärmung einer
ganzen Region abzuwenden und das Vertrauen in die Politik und die Aussagen von
Behörden nicht weiter zu beschädigen“. Bei der Festlegung der Flugrouten
müssten die drei wichtigsten Kriterien in folgender Reihenfolge gelten:
Sicherheit, Schutz der Bevölkerung vor Lärm und dann die Wirtschaftlichkeit, so
die Vertreter der Bürgerinitiative.
Inzwischen reagieren die möglicherweise Betroffenen ziemlich nervös auf jede
kleinste Reaktion. So sieht sich der Vorsitzende der Fluglärmkommission, in der
alle Orte rund um Schönefeld zusammenarbeiten, Bernd Habermann, plötzlich
Forderungen nach einem Rücktritt ausgesetzt. Der langjährige Bürgermeister von
Blankenfelde hatte auf einem Forum in Schönefeld wenig Verständnis für die
Aufregung in den Kommunen der Region Teltow und in den betroffenen Berliner
Bezirken geäußert. Dort belle der Hund lauter, als ein Flugzeug dröhne, meinte
er. Umgehend protestierten Bürgerinitiativen von Stahnsdorf, Kleinmachnow,
Teltow und Berlin gemeinsam. Dabei hatte sich gerade Habermann in den
vergangenen Jahren vergeblich um die Solidarität der Nachbargemeinden von
Blankenfelde-Mahlow bemüht. „Wir hätten die Unterstützung der südlichen
Berliner Bezirke und der Umlandgemeinden schon vor zehn Jahren gebraucht“,
sagte er. Damals seien die Blankenfelder allein gegen den Flughafenstandort
Schönefeld ins Feld gezogen. Jetzt sieht es so aus, als ob ausgerechnet
Blankenfelde durch die neuen Routen entlastet wird. Damit das auch so bleibt,
will die Gemeinde den Bau eines neuen Wohngebietes in Angriff nehmen, das
bislang unter den Flugschneisen lag. Nachfragen nach Grundstücken gebe es
genügend, vor allem seit Veröffentlichung der neuen Flugrouten, hieß es von der
Gemeinde. (mit ldg)