PNN 7.10.10
Von Tobias Reichelt
Teltow - Drei Stunden lang nahmen Fluglärmgegner am Dienstagabend
Brandenburgs Verkehrsstaatssekretär Rainer Bretschneider (SPD) in die Mangel.
„Betrug“, „Verbrecher“, „Das ist doch Mist“, „Wir wurden hier zwölf Jahre lang
verarscht“, „Jetzt machen wir Stuttgart 21“, schallte es durch den überfüllten
Saal des Teltower Rathauses. In der vor vier Wochen von den BBI-Flugrouten
überraschten Region Teltow brodelt es. Etwa 400 Protestler strömten ins
Rathaus, um ihren Unmut gegenüber der brandenburgischen Landesregierung –
vertreten durch Staatssekretär Bretschneider – Luft zu machen.
Bretschneider wird eine Schlüsselrolle im Planfeststellungsverfahren für den
Flughafen zugeschrieben: Bürger warfen ihm am Dienstagabend vor, die Region
über die neuen Flugrouten vom künftigen Hauptstadtflughafen
Berlin-Brandenburg-International getäuscht zu haben. Im Gegensatz zu den bisher
aus den Planfeststellungsbeschlüssen bekannten Routen müssen Einwohner demnach
mit stärkerem Luftverkehr und mehr Lärm rechnen. Statt an Teltow vorbei, sollen
die Düsenjets über die Rübchenstadt und ihre Nachbarkommunen Richtung Wannsee
hinwegdonnern.
Vor einigen Wochen hatte Bretschneider selbst zugegeben, 1998 – während des
Planfeststellungsverfahrens– von der Deutschen Flugsicherung über nötige
Routenänderungen informiert worden zu sein – laut Bretschneider allerdings, ohne
dass Details genannt wurden. Damals hätte man nicht wissen können, dass die
Routen über Teltow verlaufen, rechtfertigte sich Bretschneider am Dienstag vor
Ort. Erst kurz vor Flughafeneröffnung sollten die endgültigen Routen
feststehen. Deshalb sei jetzt die Flugsicherung gefragt. „Wir brauchen eine
handvoll alternativer Routen“, sagte Bretschneider.
Doch keine der Alternativen wird wohl die Kapazität des neuen Flughafens
beschneiden – eine Grundforderung der Bürgerinitiativen. Sie sehen in
gleichzeitigen Starts zweier Flieger den Grund für die Routenführung über
Teltow. Die Piloten müssen einen Abflugwinkel von 15 Grad einhalten, auf der
Nordbahn geht es deshalb bei Westwind Richtung Teltow und Wannsee. „Es gibt
keine Positionierung des Landes, auf parallele Abflüge zu verzichten“, sagte
Bretschneider. Man wolle die Erarbeitung einer Lärmbilanz abwarten. Sie soll
zeigen, wie viele Menschen an welcher Stelle von welchem Fluglärm betroffen
sind. „Wir wollen möglichst viele Menschen vor Lärm schützen“, so Bretschneider.
Wie die Flugsicherung gestern den PNN bestätigte, werde bereits an zwei
bis drei neuen Flugrouten-Varianten gearbeitet. Sie sollen in der
Fluglärmkommission abgestimmt werden. In dem Gremium sind auch Teltow,
Kleinmachnow und Stahnsdorf vertreten.
Die Vorsitzende der Bürgerinitiative „Keine Flugrouten über Berlin“, Marela
Bone-Winkel, zeigte sich am Dienstag enttäuscht vom Auftritt des
Staatssekretärs. „Es geht nicht darum, dass sich die Leute hier ein bisschen
ärgern, sie müssen mit ihrem Lebensglück und ihrer Gesundheit bezahlen.“ Auch
Gotthard Kudlek von der Teltower „Interessengemeinschaft Lärmschutz“ ist sauer.
60 000 Starts werde es jährlich vom BBI geben, bei denen über Teltow geflogen
wird. Zudem konnte die Flugsicherung nicht ausschließen, dass die Region auch
bei Landungen tangiert wird. Kudlek fürchtet, dass auch noch das
Nachtflugverbot gekippt wird.
Zumindest an dieser Stelle konnte Staatssekretär Bretschneider
beruhigen: „Das Bundesverwaltungsgericht hat eine klare Regelung getroffen“,
von Mitternacht bis 5 Uhr werde am BBI nicht geflogen. „Ich will ihnen nichts
verheimlichen“, sagte Bretschneider dem wütenden Publikum. So sparte er auch
nicht an bitteren Botschaften: Die Teltower werden keinen Anspruch auf
Lärmschutzmaßnahmen haben, die Flugzeuge würden allerdings auch nicht wie an
einer „Perlenschnur“ immer über dieselben Häuser fliegen. Die Flugkorridore
seien etwa zwei Kilometer breit. Bretschneider machte den Protestlern wenig
Hoffnungen, Maximalforderungen durchsetzen zu können: Der
Planfeststellungsbeschluss zum Flughafen sei „juristisch wasserdicht“.
„Juristisch vielleicht, aber politisch ist er das nicht“, konterte
BI-Vorsitzende Bone-Winkel. Über 10 000 Unterschriften seien gesammelt worden,
der Protest werde nicht abflauen, kündigte sie an. Bereits am 21. Oktober am
Kleinmachnower und am 24. Oktober am Teltower Rathaus sind die nächsten Demos
geplant.