PNN 18.9.10

 

Von Tobias Reichelt

Aufruf zum zivilen Ungehorsam

Protest gegen drohenden Fluglärm über Teltow ebbt nicht ab / Land sieht Spielraum für Flugrouten (18.09.10)

Stahnsdorf - Thomas Goldammer kennt sich aus. „Das Leben in Stahnsdof wird sich massiv verändern“, warnt der Akustikingenieur aus Stahnsdorf. Wenn die Deutsche Flugsicherung an ihren Entwürfen für die Flugrouten des Großflughafens Berlin-Brandenburg festhalte, werden die Flieger auch über Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf unterwegs sein. Jedes Flugzeug wird in der Region um den Teltowkanal Lärm von 65 Dezibel erzeugen, sagt Goldammer. „Bei dieser Lautstärke werden wir uns nicht mehr ungestört unterhalten können“, mahnt er und ist damit nicht allein.

Der Protest in der Region Teltow gegen die geplanten Flugrouten ebbt nicht ab. Nach einer ersten Veranstaltung am Montag in Teltow trafen sich am Donnerstagabend erneut fast 400 Lärmgegner im Stahnsdorfer Rathaus, unter ihnen auch Akustikingenieur Goldammer. Binnen Minuten war der Rathaussaal gefüllt, viele mussten die Veranstaltung auf dem Flur mitverfolgen. Der Ansturm war so groß, dass für den gestrigen Freitag eine weitere Kundgebung im Ort ausgerufen wurde – Protest, der angesichts des drohenden Fluglärms, bitter nötig scheint.

Erst am 6. September hatte die Deutsche Flugsicherung mitgeteilt, dass es andere An- und Abflugrouten geben soll, als nach dem Planfeststellungsbescheid für den Flughafen aus dem Jahr 2004 bisher angenommen. Der Grund: Gemäß internationalen Regeln dürfen Flugzeuge bei parallelen Startbahnen nicht geradlinig abfliegen, sondern müssen nach dem Abheben in einem 15-Grad-Winkel nach Norden oder Süden abknicken. So fliegen sie auch über den Teltowkanal. Der Unmut darüber ist groß.

Am Donnerstag berichtete nun der Rechtsanwalt der Gemeinde Stahnsdorf, Ronald Radtke, über die Chancen einer Klage gegen die Routenänderung. Sein Fazit: Ein Verfahren wäre aufwendig, teuer und die Erfolgschancen gering. Klagen könne man in der Regel nur noch, wenn der Lärm schon da und nachgewiesener Maßen zu laut sei. Zwar fühlten sich viele Anwohner enttäuscht, aber die aus der Planfeststellung bekannten Routen hatten einen vorläufigen Charakter. Seit 2004 ist klar, dass die Routen anders aussehen können. Einzige Chance sei es, den Protest zu verstärken. „Ich halte es für enorm wichtig, dass Sie ihr Anliegen zum Ausdruck bringen, bevor die Routen endgültig festlegt werden“, sagte Radtke.

Gestern trafen sich bereits die drei Bürgermeister, um weitere Schritte zu beraten. Man wolle sich an die Landesregierung wenden und gleichsam betroffene Partner zum Beispiel in den südlichen Berliner Stadtteilen suchen, ähnlich dem Beispiel der „B8-Initiative“, hieß es.

Die „B8“ ist eine Gruppe von Bürgermeistern der flughafennahen Kommunen um die Städte Königs Wusterhausen und Mittenwalde. Auch sie fordern die Beibehaltung der dem Planfeststellungsbescheid zugrundeliegenden Flugrouten.

Chancen dafür gebe es, hieß es aus dem Brandenburgischen Infrastrukturministerium. „Es ist Spielraum da“, sagte Sprecher Jens-Uwe Schade den PNN. Wie der genutzt werden kann, soll bei einem Treffen mit 40 vom Fluglärm betroffenen Bürgermeistern am 27. September erörtert werden. Mit dabei Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf, sagte Schade.

Selbst das Ministerium sei von den neuen Flugrouten überrascht worden. Ob die Flieger wirklich wie bislang angeführt im 15-Grad-Winkel abknicken müssen, werde geprüft. Bekannt sei, dass es für den Münchener Flughafen eine Ausnahmeregelung gebe. „Was dort geht, muss auch hier möglich sein“, so Schade. Erst 2012 würden die Routen festgelegt – allerdings nur vorläufig. Immer wieder könnten sie im laufenden Betrieb des Flughafens geändert werden.

In Stahnsdorf hat sich indes der Protest organisiert. Über 1000 Unterschriften sind gesammelt. Die Listen wurden in vielen Läden ausgelegt und an jeden Schüler verteilt. In Kleinmachnow ist eine Kundgebung für kommenden Montag ab 18 Uhr vor dem Rathaus geplant. Künftig könnte der Protest mit „zivilem Ungehorsam“ fortgeführt werden, hieß es. Flugbehörden sollen mit E-Mails bombardiert, Straßen bei Montagsdemos gesperrt werden. Auch Akustikingenieur Goldammer hatte eine Idee: Ein „Lärmmobil“ könne mit Lautsprechern durch die Straßen rollen. „Dann kann jeder hören, wie laut die Flieger werden.“