PNN 9.8.10
Kleinmachnow - Am Ende steht Kritik und Hoffnung formuliert. Der
Kleinmachnower Wohnungsbau der letzten 20 Jahre sei von „purem Dilettantismus“
geprägt. Indes lasse die angekündigte Kehrtwende in der Baupolitik des seit
2009 amtierenden Bürgermeisters auf ein Ende des „beinahe ungebremsten Baubooms
“ hoffen.
Bevor die Kunsthistorikerin und Autorin Nicola Bröcker
ihr aktuelles Buch „Kleinmachnow bei Berlin“ (Gebr. Mann Verlag, Berlin) mit
diesen Worten abschließt, zeichnet sie die städtebauliche Genese,
architektonische Ausprägung und sozialgeschichtliche Aspekte des Ortes nach.
Daher ist der finale Fingerzeig legitim, schließlich schafft Bröcker mit ihrer wissenschaftlichen Studie Gefühl und
Bewusstsein für die städtebaulichen Strukturen, die Kleinmachnow eigen sind. Sie
macht Besonderheiten, Charakteristika und Qualitäten des historischen
Baubestands – dem individuellen wie gemeindlichen - deutlich, indem sie die
Impulse, Einflüsse und Umstände der Siedlungsgeschichte von 1920 bis 1945
erklärt. Dabei bietet das Buch eine Fortsetzung des 2004 erschienen Werkes
„südwestlich siedeln“, in dem sich Bröcker zusammen
mit der Architektin Celina Kress der
Zehlendorf-Kleinmachnower Villenkolonie der Kaiserzeit widmete.
Der Untertitel des aktuellen Buches heißt „Wohnen zwischen Stadt und Land“ –
dem entsprechend beschreibt Bröcker Kleinmachnow als
„prädestiniertes Beispiel“ einer „schleichenden Suburbanisierung“, die mit den
bereits etablierten Villen- und Landhauskolonien Zehlendorf, Schlachtensee, Nikolassee und Wannsee ihre Vorbilder hatte. Kleinmachnow
stellte nach Ende des ersten Weltkrieges eine „beträchtliche Baulandreserve“
dar – städtebaulich unerschlossen und unbebaut. Der 1920 verliehene Status
einer Landgemeinde und die durch „Eigensinn, Stärke und Selbstbewusstsein“ (Bröcker) verhinderte Eingemeindung nach Berlin erwiesen
sich als Katalysatoren für die rasante bauliche Entwicklung. Von 1926 bis 1940
„galoppierte“ die Einwohnerzahl um das 14-fache auf 13 880. Als Ursachen
zitiert Bröcker die günstigen Baulandpreise, hohe
naturräumliche Qualitäten, geringe Steuer- und Sozialabgaben sowie die bereits
vorhandene Villenkolonie als vorbildliches städtebauliches Modell. Vor allem
Angestellte, Lehrer, Handwerker, Beamte und Akademiker erkannten das „eigene
Heim am Stadtrand“ als ideale Wohnform und flüchteten aus dem völlig
übervölkerten Berlin.
Im Kapitel „Städtebau, Wohnquartiere, Zentrumsplanung“ beschreibt Bröcker das Bemühen um einen städtebaulichen Rahmen für das
Gemeindegebiet, der sich schließlich in einem Siedlungsplan der Architekten
Werner von Walthausen und Maximilian von Goldbeck wiederfand. Anschaulich wird
die Ansiedlung erster Geschäfte beschrieben, die eine Versorgung der
Bevölkerung offenbar nur unzureichend gewährleisten konnten, wohingegen sich
die Gesundheitswesen besser entwickelte. „1937 waren
eine Hebamme und neun Ärzte im Ort niedergelassen“, zitiert Bröcker
aus dem damaligen Ortsverzeichnis. Im Abschnitt „Nahrverkehr
und Straßennetz“ finden sich Parallelen zu den Schwächen und Defiziten, die
Kleinmachnow noch heute bei der „zeitraubenden Anbindung“ an Berlin hat. Mit
bislang unbekanntem Quellenmaterial dokumentiert Bröker
den „Plan für das Bauprogramm einer Gemeinschaftsanlage“ – ein beträchtliches
Sportgelände in den Kiebitzbergen, „vergleichbar mit dem Olympischen Dorf bei
Nauen“.
Das 15-seitige Kapitel „Bauten für die Gemeinschaft“ widmet sich der Entstehung
von Gemeinde- und Pfarrhäusern, der Eigenherd- und Weinbergschule sowie der
Kammerspiele. Äußerst ausführlich beschreibt Bröcker
den individuellen Wohnungsbau. Sie spürt die Architekten Kleinmachnows auf und
würdigt die Arbeit der „bedeutenden lokalen Akteure“ Werner von Walthausen und
Friedrich Blume, deren Handschrift Kleinmachnow besonders geprägt hat. So entwarf ersterer für den Siedlungsbeginn des
Eigenherd-Terrains Häuser, die sich durch „maßvolle Proportionen, gediegene
Gestaltung und funktionale Grundrisse“ auszeichneten. In einem Katalog 45
ausgewählter Wohnhäuser gibt Bröcker einen
interessanten Blick in die Wohnstuben des Kulturpolitikers Adolf Grimme oder
des Schauspielers Friedrich Kayßler. Schließlich
setzt sich Bröcker kritisch mit dem Kleinmachnower
Prädikat einer „Künstlerkolonie“ auseinander. Nach der Auswertung von Telefon-
und Adressbüchern zählt sie 177 Künstler, die zwischen 1918 und 1945 in dem Ort
lebten, was jeweils einen Anteil an der Gesamtbevölkerung von lediglich einem
Prozent ausmachte. Der Titel eines Künstlervororts sei daher eine „tradierte
Idealisierung“. Dennoch widmet sie ein eigenes Kapitel dem „Wohnen und Wirken“
ausgewählter Kleinmachnower Künstler.
„Viele interessante Erkenntnisse konnte die Autorin gewinnen und dabei auch
Parallelen zur Gegenwart offenlegen“, würdigt Bürgermeister Michael Grubert in seinem Geleitwort. Bröckers
Schlusssatz liest sich wie ein Echo auf das lobende Vorwort: „Nur durch die
bewusste Wahrnehmung der spezifischen städtebaulichen Strukturen kann es hier
in der Zukunft zu gelungenen Neuplanungen kommen.“ Peter Könnicke