PNN 7.8.10
Von Tobias Reichelt
Gisela Stahn ist seit 15 Jahren Kleinmachnows Streitschlichterin und hat schon viel erlebt
Kleinmachnow - Frei fliegende Grashalme können ein Ärgernis sein.
Besonders wenn sie nicht aus dem eigenen Garten stammen, erzählt Gisela Stahn.
Die 52-Jährige ist Kleinmachnows außergerichtliche Streitschlichterin und hat
schon viel erlebt. Die verwehten Grashalme gehören zu einer ihren besten
Geschichten: Trotz Fangkorb hätten sich in diesem Fall nicht alle Halm-Enden
aufhalten lassen. Einige verirrten sich in Nachbars Garten – der fühlte sich
gestört und wollte vor Gericht. Doch daraus wurde nichts. Statt vor dem
Richter, landeten die beiden Kleinmachnower Streithähne bei Gisela Stahn. Die
Streitschlichterin konnte sie wieder versöhnen, wie so viele andere.
Nachbarschaftskonflikte, leichte Körperverletzungen oder Verletzungen des
Briefgeheimnisses – „bei solchen Streitigkeiten geht es generell erst zur
Schiedsstelle im Ort“, erklärt Stahn. „Wir sollen vermitteln und die Gerichte
mit unserer Arbeit entlasten.“ Wollen Nachbarn gegen Nachbarn klagen, ist der
vorherige Besuch der Schiedsstelle also Pflicht. Allerdings: Gisela Stahns
Quote ist gut. Rund 60 Prozent der Streitereien könne sie schlichten.
„Mein Metier sind Hecken, Pflanzen und Hunde“, sagt Stahn. Wer zu ihr kommt,
dem geht es um zu hohe Bäume, die das Erdbeerbeet verschatten oder Dachrinnen,
die ihr Wasser auf das Nachbargrundstück leiten. Die Schlichterin muss
Lärmprotokolle vom Nachbarhund auswerten oder sich Fotos von Autotüren ansehen,
die beim Öffnen über das eigene Grundstück ragen. „Wir sitzen dann alle an
einem Tisch und versuchen zu vermitteln.“
Das Prinzip der Schiedsstelle ist einfach: Wer ein Problem zum Beispiel mit dem
Nachbarn hat, kann zur monatlichen Sprechstunde in die dritte Etage des
Kleinmachnower Rathauses gehen. Dort wird er kostenlos von den ehrenamtlich
Schiedsfrauen Gisela Stahn und ihrer Stellvertreterin Iris Weger beraten. „Wir
machen hier keine Rechtsberatung, aber viele Leute kommen her, um sich einen
einfachen Rat zu holen.“ Ist der Ärger begründet? Der Hund tatsächlich zu laut
oder die Hecke zu hoch? „Ich frage dann immer: Haben sie mit ihrem Nachbarn
schon darüber gesprochen?“ Meist komme ein Nein als Antwort, „mit dem spreche
ich doch nicht“, erzählt Stahn.
Hilft ein erstes Gespräch über den Gartenzaun nicht weiter, wird auch der
Nachbar zur Schiedsstelle geladen. Verweigert er sich, muss er die Kosten für
das Verfahren tragen. Immerhin sind das bis zu 50 Euro. Erscheint der Nachbar,
muss der Antragsteller die Gebühren übernehmen. Kommt es zu einer Einigung,
können die Kosten geteilt werden.
„Der Nachbar muss nur hinkommen und zuhören“, sagt Stahn. Niemand muss reden,
wenn er nicht will. Allerdings mindere das die Chancen auf eine Vermittlung.
Auch wenn die Fälle noch so kompliziert seien, ein Kompromiss werde gesucht:
Die Dachrinne wird um ein paar Zentimeter verschoben, der Hund über Mittag
nicht mehr aus dem Haus gelassen. „Wir versuchen einen Weg aufzuzeigen, der für
beide akzeptabel ist“, sagt Stahn. Ihr Schiedsspruch ist 30 Jahre lang gültig,
selbst vor Gericht.
Gisela Stahn und ihre Stellvertreterin Iris Weger haben keine juristische
Ausbildung, sie bekommen kein Geld für ihre Aufgabe. Stahn arbeitet hauptberuflich
für ein Teltower Ausbildungsunternehmen. Ein bis zweimal im Jahr werden die
Schiedsleute vom „Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen“ im Baurecht,
Mietrecht usw. fortgebildet. In Brandenburg sind etwa 600 Schiedsleute tätig,
sie beschäftigen sich im Jahr mit etwa 3000 Streitfällen. Die Ehrenamtler
werden von den Gemeindevertretern für fünf Jahre gewählt. Stahn ist schon 15
Jahre dabei. Sie hat die Kleinmachnower Schiedsstelle aufgebaut und will sich
in diesem Jahr erneut der Wahl stellen.
„Viele kommen zu uns, um hier ihr Herz auszuschütten“, sagt Stahn. Oft seien es
Ältere. Die Schiedsleute hören ihnen zu. „Wir stecken da viel Herzblut rein.“
Endet die Schlichtung doch mit einem Misserfolg, geht es für die Streithähne
oft vor Gericht weiter. Das wird teuer, sagt Stahn. Einige Rechtsanwälte
nutzten die schlechte Stimmung zwischen den Nachbarn, um Geld zu verdienen.
„Bei uns geht es schneller, es ist kostengünstiger und es spart Nerven.“
Die Kleinmachnower Schiedsstelle ist jeden dritten Dienstag im Monat von 18 bis
19 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter www.kleinmachnow.de