PNN 29.6.10

 

Von Thomas Lähns

Erschütternde Liste

Fast 1000 Menschen kamen im Zweiten Weltkrieg in Kleinmachnow ums Leben oder fielen an der Front (29.06.10)

Kleinmachnow – „Manfred Köpsel, 2-jähriges Kind: Gestorben durch Bombe. Christel Juhre, Schülerin: Kopfschuss durch sowjetische Soldaten. Friedrich Groß, Schneidermeister im Ruhestand: Freitod durch Erhängen“: Es ist eine nicht enden wollende Liste tragischer Schicksale von Kleinmachnowern während des Zweiten Weltkrieges. Fast 1000 Menschen haben hier ihr Leben gelassen oder sind als Soldaten an den Kriegsschauplätzen auf der ganzen Welt gefallen. Ihre Fälle hat der Ortschronist Günter Käbelmann vom Heimatverein recherchiert und zusammengetragen.

Für ihn ist damit ein erster Schritt getan. Jahrelang hat er in Archiven, Sterbebüchern und Zeitungen nach den Kriegstoten gesucht. Er hofft, dass sich nun noch weitere Menschen bei ihm melden, die Verwandte aus der Gemeinde in dieser Zeit verloren haben. Erst dann soll ein vollständiges Buch erscheinen. Im Moment handelt es sich eher um eine Liste – die erschreckend lang ausfällt. Ohne Wertung und in tabellarischer Form werden die Toten mit Geburts- und Sterbedatum, Adresse und Todesursache aufgezählt. Darunter sind 25 jüdische Bürger, 350 Kleinmachnower Soldaten, knapp 200 auswärtige Bürger und Soldaten, 109 Rotarmisten, circa 20 Zwangsarbeiter – und 225 weitere Zivilisten, die durch Bombenabwürfe, in Gefangenschaft oder durch marodierende Russen ihr Leben ließen.

Das große Sterben im Ort begann im Februar 1945, als Hitler Berlin zur Festung erklärte und Kleinmachnow zur Verteidigungsstellung mit Schützengräben, Panzersperren und Flugabwehr ausgebaut wurde. Viele, die den Bombenhagel überlebt hatten, wählten aus Angst den Freitod. Von den 70 Leuten, die noch Ende April in den „Volkssturm“ gezwungen wurden, kamen 40 ums Leben. Die meisten Toten gab es dann in der Nacht zum 1. Mai, als 4000 eingeschlossene Soldaten von Wannsee aus den Durchbruch zur Armee Wenck bei Ferch versucht hatten. „Ein Teil von ihnen, 1800 Mann, kämpften sich über die Schleusenbrücke bis Schenkenhorst – sie alle wurden letztendlich aufgerieben“, so Käbelmann.

Mit der Aufarbeitung angefangen hat der Ortschronist schon als kleiner Junge: „Im Herbst 1943 kam ich aus der Schule und sah, dass meine Großmutter weinte“, erzählt er. Das habe ihn bewegt und erst später habe er erfahren, dass Freunde der Familie gefallen waren. Käbelmann begann, Todesanzeigen auszuschneiden und zu sammeln. Mit dem Näherrücken der Roten Armee verbrannte seine Mutter die Annoncen jedoch, denn die Hakenkreuze auf den Blättern hätten Schwierigkeiten bedeutet. Die nächste Sammlung vernichtete sie nach dem Mauerbau 1961, als sämtliche Fluchtwege in den Westen abgeschnitten waren.

Käbelmann hat einen weiteren Anlauf genommen und neben seinen Recherchen mit vielen Nachfahren und Verwandten gesprochen. So kann er zahlreiche Schicksale detailliert wiedergeben. Zum Beispiel das des Schneidermeisters Franz Musiol, der von Rotarmisten erschossen wurde, weil er sie davon abhalten wollte, sich an dessen Nachbarin zu vergehen. Oder das des Generals a.D. Walther von Goetze, der sich weigerte, seine Uhr herauszugeben, und dafür von den Russen mit dem Gewehrkolben erschlagen wurde.

Besonders interessant ist der Fall des NSDAP-Ortsgruppenleiters Heinrich von Dulong, der im Gegensatz zu vielen anderen Nazis 1945 wohl erkannt hatte, dass der Krieg verloren war: Er weigerte sich, zwei weitere Volkssturm-Kompanien mit Schülern aufzustellen und schickte sie stattdessen nach Hause. Dem deutschen Exekutionskommando konnte er zwar entkommen, lief auf der Flucht aber den Sowjets in die Arme, die ihn in ein Lager nach Rüdersdorf verschleppten. Dort starb er wenige Tage später an Krankheit und Hunger – wie weitere 800 Gefangene.

Käbelmann unterstreicht, dass es noch lange nach 1945 Todesopfer im Zusammenhang mit dem Krieg gegeben hatte. 20 starben in sowjetischen Speziallagern, so wie von Dulong. „Die Mauertoten müsste man eigentlich auch dazu zählen“, sagt er, denn ohne den Krieg hätte es die DDR samt der Grenze wohl nicht gegeben.

Sprechzeit des Heimatvereins donnerstags 9-14 Uhr, Hohe Kiefer 41. Tel: (030) 80 28 783, Email: rudimach@aol.com