PNN 13.04.2010
Als Künstler in der Öffentlichkeit zu wirken – das ist für mich
Pflicht und Lust zugleich. Ich meinte stets, dass eine kultivierte Atmosphäre
meinen Heimatort Kleinmachnow prägen sollte. Die Frage ist: Was bleibt und was
verändert sich am kulturellen Ortsklima? Dass auf der Hakeburg 1962 unter dem
Dach des Kulturbundes ein veritabler Joliot-Curie-Club entstand, wird heute
gern mit den politischen Vorzeichen, unter denen das geschah, abqualifiziert.
Doch spreche ich Zeitzeugen, so ist von Veranstaltungen voller geistiger
Anregung die Rede. Eine ganz bürgerliche Kultur konnte sich etablieren. Ich
selbst hatte 1963 eine große eigene Ausstellung und organisierte jahrelang
solche für zig andere Kollegen und -innen. Es kam zu inspirierenden Kontakten,
zu lebenslangen Freundschaften. Mit dem Namen der erst wenige Jahre zuvor
verstorbenen Nobelpreisträger Irene und Frederic Joliot-Curie war ein moderner
Intelligenzbegriff verbunden.
In Zeiten diktatorischer Beengung fühlten wir uns befreit, wenn wir durch den
Club in Kontakt mit Gleichgesinnten kamen. Können die Nachgeborenen bürgerliche
Zivilität im Schatten der Mauer nachvollziehen? Wenn sie die übrig gebliebenen
Fotodokumente studieren, auf denen Leute mit Parteiabzeichen am Revers
bedeutungsvoll gucken, kaum. Und wenn sie die Protokolle einer misstrauischen
Sicherheitsbehörde studieren, noch weniger. Da wird aus Geselligkeit schnell
ein permanentes Besäufnis, aus politischen Themenabenden eine peinliche
Indoktrination. Ja aber: Als ich etwa 1985 den legendären Professor Jürgen
Kuczynski mit dem Auto in Berlin abgeholt hatte und er im Club unorthodoxe
Thesen vortrug, zerpflückte er die Einwände von eigens erschienenen Abgesandten
der Parteischulhierarchie so souverän, dass diese nie wieder auf der Bildfläche
erschienen.
Als der mondäne Traum vom Hakeburg-Club nach vier Jahren zu Ende ging, nahmen
wir die Ausgestaltung des neuen Domizils in der Sachsenbergvilla im
Zehlendorfer Damm in die eigenen Hände. Die dort gedeihenden Gedanken waren
immerhin so frei, dass sie selbst die dorthin delegierten Kader infizierten.
Neulich sprach ich einen seinerzeit in Kleinmachnow stationierten Offizier der
Grenztruppen, der nach im sogenannten „Curryclub“ erlebten Disputen seinen
Horizont so erweitert hatte, dass er als einer der Diensthabenden auf der
Bornholmer Brücke am 9. November ’89 eine schnelle Grenzöffnung bewirkte.
Als in den Monaten des Sturzes der DDR-Administration auch der ihr zugeordnete
Kulturbund wankte, ergriff Dr. Ursula Kleinig mutig das Steuer, und lenkte das
angeschlagene Club-Schiff in die ruhigen Gewässer einer gemeinnützigen
Vereinsstruktur. Der Name „Kultur-und Kunstverein Kleinmachnow e.V.“ bürgte in
kleinerem Maßstab für Qualität. Bald sorgten Hausmusikkonzerte und
Kabinettausstellungen, Lesungen und Vortragsabende für einen guten Ruf des
Unternehmens.
Kritischen Disput pflegte unter anderen mit scharfen Analysen der schon vom
Club her bekannte Professor Karl Friedrich Wessel aus Berlin. So entstand für
neu zugezogene Altbundesbürger bald schon ein erster Ost-West-Treffpunkt zum
Gedankenaustausch. Einige Vorstandsjahre lang erlebte ich Frau Kleinig, wie sie
Kontakte zu knüpfen und ABM-Stellen fürs Büro besorgen oder unnachahmlich
herzlich die Gäste zu begrüßen verstand. Ob Karl Gass oder Alexander Gauland,
Hans Bentzien oder Hinrich Enderlein – dank ihrer Vermittlung wurde man schnell
vertraut miteinander. So wie damals Kuczynski war Ende der 90er Jahre Egon Bahr
mein Fahrgast aus Berlin-Mitte heraus zu einem Abend, an dem der einstige
Entspannungspolitiker Gedanken zum Zusammenwachsen beider deutscher
Mentalitäten entwickelte.
Die Besucherzahlen blieben zunehmend im intimen Rahmen. Als 2004 der
Vereinsvorsitz an Christine Saretz überging, war im Vorstand zu Thomas Singer
und Bernd Muck außer dieser auch Professor Horst Kress seitens der Neubürger
hinzugekommen. Man verstand sich gut und nahm neue Projekte in Angriff.
Traurig, dass nach wenigen Jahren dem Verein das Dach über dem Kopf weggezogen
wurde. Der Ort mit inzwischen so viel hoffnungsvoller Bautätigkeit verlor nach
dem Kulturhaus Kammerspiele die zweite Kulturadresse von überregionaler Bedeutung.
Zum Jahresanfang 2010 kam das endgültige Aus für den Verein. Die zweite
Hiobsbotschaft war der nach kurzer Krankheit eingetretene Tod von Ursula
Kleinig. Das dankbare Gedenken an sie löst die Frage aus: Sollen wir
gemeinsames Erleben und Gestalten von Kultur egoistischen Privatinteressen
opfern? Vereinzelte neue Initiativen müssen noch Kraft gewinnen und Resonanz
finden. Wenn das Damoklesschwert der Kostenfrage über allen neuen Projekten
schwebt – müssen wir uns darunter ducken, und kreative Höhenflüge beschneiden,
kürzen und einschränken?
Harald Kretschmar, geboren 1931 in Berlin, ist Karikaturist und lebt seit 1956
in Kleinmachnow. Dort war er seit dessen Gründung im Jahr 1962 Mitglied des
Joliot-Curie-Clubs.