PNN 9.11.09
Kleinmachnow – „Nimm den Personalausweis, wir fahren nach Westberlin“,
sagten Freunde, die am Abend des 9.November 1989 im Wohnzimmer von Rainer Speer
standen. Er habe das anfangs für einen Witz gehalten und gelacht, erinnerte
sich der heutige Innenminister des Landes Brandenburgs bei der
Ausstellungseröffnung „Freundwärts – Feindwärts“. Die wurde gestern in
Kleinmachnow am alten Grenzturm im Europarc Dreilinden eröffnet.
Just hier war einst der Grenzübergang Drewitz-Dreilinden – und wie Rainer Speer
warteten dort vor 20 Jahren viele DDR-Bürger auf die Öffnung der Grenze.
Eigentlich hatte er sich an diesem Abend Zeit für Papierkram nehmen wollen,
denn die Gründung der SDP stand bevor. Doch die Verlockung, einmal hinter die
Berliner Mauer zu schauen, war größer. Die ganze Nacht seien sie unterwegs
gewesen, erzählte Speer, und „überall bekamen wir Bier umsonst“. Das prägendste
Erlebnis sei aber die Fahrt über die Glienicker Brücke gewesen: „Zum ersten Mal
sahen wir Potsdam von dieser Brücke.“ Als 1993 auf dem Areal des einstigen
Grenzüberganges Dreilinden der erste Spatenstich für den Europarc erfolgte,
hatte sich Speer noch gewünscht, dass auch der Turm verschwinden möge. „Am
liebsten hätte ich den mit dem Bagger im Rückwärtsgang gerammt“, bekannte der
Minister. Ähnlich dachte seinerzeit Markus Meckel, Außenminister der letzten
frei gewählten DDR-Regierung. Heute ist auch er froh, dass sich in dem Turm,
den die Alliierten „Checkpoint Bravo“ nannten, ein Kommunikations- und
Ausstellungsort etabliert hat. Alt- und Neubürger aus Kleinmachnow hatten sich
dafür eingesetzt, ebenso der Landeskonservator Detlef Karg, der den Turm unter
Denkmalsschutz stellen ließ.
Die aktuelle Ausstellung zeigt anhand von Schicksalen, dass „der Feind auch
permanent in der eigenen Bevölkerung vermutet wurde“, erklärte Peter Boeger,
Vereinschef des „Checkpoint Bravo e.V.“. Neben einem Koffer, in dem ein junger
Berliner seine Verlobte über die Grenze schmuggelte, ist das Foto einer
„trojanischen Kuh“ zu sehen, die als Fluchthilfe diente. Dass er ein „feindlich
negatives Objekt“ sei, erfuhr Fluchthelfer Hartmut Richter erst im Dezember
1975 als er zu einer Höchststrafe von 15 Jahren Freiheitsentzug vom Potsdamer
Bezirksgericht verurteilt wurde. „Ich habe 33 Leute aus der DDR rausgekriegt“,
erzählte der Zeitzeuge gestern.
Der erste Fluchtversuch über die tschechisch-österreichische Grenze war dem
Potsdamer Helmholtz-Schüler im Januar 1966 noch misslungen. Er bekam zehn
Monate Bewährung, wagte nur acht Monate später den zweiten Versuch durch den
Teltowkanal in der Nähe von Albrechts Teerofen. Der 18-Jährige war trainierter
Schwimmer und tauchte den größten Teil der etwa 100 Meter langen Strecke. Als
er das andere Ufer erreichte, sah er ein Auto mit Frankfurter Kennzeichen – und
brach erschöpft zusammen.
Über den Grenzkontrollpunkt Drewitz schleuste Richter später viele andere mit
seinem Auto. Im März 1975 wollte er seiner Schwester mit Verlobtem im
Kofferraum zur Flucht verhelfen. Doch das Fahrzeug wurde gestoppt und eine
Verdachtskontrolle durchgeführt. Erst später erfährt Richter, dass die Stasi
ihn schon ein Jahr im Visier hatte. „Die Zeit im Gefängnis in der Potsdamer
Lindenstraße war die schlimmste meines Lebens“, so Richter. 1980 wurde er aus
der Haftanstalt Bautzen freigekauft. Kirsten Graulich