PNN 05.10.09
Stahnsdorf – Verdrossen blickte Regina Schwarz (Bürger für Bürger) am
Donnerstagabend zwischen den anderen aufgebrachten Stahnsdorfer Gemeindevertretern
drein: Was hatte sie da bloß angestellt? „Ich musste einfach kurz raus, meine
schwache Blase
“, versuchte sie zu erklären. Zu spät. Weil Schwarz
zwischen zwei entscheidenden Abstimmungen zum geplanten Radweg als Vorläufer
einer S-Bahn-Strecke durch den Ort den Saal für ein dringendes Bedürfnis
verlassen hatte liegen jetzt zwei unterschiedliche Abstimmungsergebnisse über
ein Sache vor. Die Verwirrung ist groß.
Mit dem in einer Gemeindevertretersitzung denkbar knappsten Ergebnis eines
Stimmenpatts hatten die Stahnsdorfer zuvor den Abwägungsbeschluss zum
„Bebauungsplan Nummer 7“ abgelehnt. Mit einem solchen Beschluss wird
„abgewogen“, ob die Einwände von Betroffenen im B-Plan ausreichend
berücksichtigt worden sind. Das, fand die Hälfte der Gemeindevertreter, war
hier nicht der Fall – der Radweg schien damit vom Tisch. Jubel und Beifall
erklangen im Publikum, besetzt mit Anwohnern, denen eine Teilenteignung ihrer
Grundstücke gedroht hatte. Doch dann verließ Regina Schwarz, die den Radweg
ebenfalls ablehnte, den Saal. Als es nun um den Satzungsbeschluss ging, dem
zweiten Teil der Abstimmung, fehlte ihr „Nein“ plötzlich. Die zweite
Beschlussvorlage wurde also angenommen.
„Jetzt kommt der Radweg doch?“, fragte Karin Steingräber (Wir Vier) aufgebracht
im anschließenden Tumult. Entscheidend sei die Satzung, nicht die Abwägung,
mutmaßte sie, die den Weg vorher ebenfalls abgelehnt hatte. CDU-Fraktionschef
Claus-Peter Martensen widersprach: „Die erste Abstimmung ist wichtig, es hätte
gar nicht zur zweiten kommen dürfen.“ Bürgermeister Bernd Albers (Bürger für
Bürger) zeigte sich ebenfalls überrascht: „Wir werden es durch eine Kanzlei
prüfen lassen und im Zweifel der Kommunalaufsicht vorlegen.“ Albers hatte sich
für den Bau des Radweges stark gemacht.
Lange und heftig hatten die Gemeindevertreter im Vorfeld über die Entscheidung
diskutiert: Enteignen für einen Radweg? Niemals, da rechtlich nicht begründbar,
hatte CDU-Chef Martensen erklärt. Auch der FDP-Vertreter Günther Wüstenhagen
schlug in die gleiche Kerbe. Beide betonten aber auch: „Wir stehen für eine
Freihaltetrasse.“ Die kann aber die Gemeinde selbst nicht planen, erläuterte
Bürgermeister Albers, denn Stahnsdorf besitzt keinen eigenen Bus- oder
Bahnbetrieb. Deshalb lautet das Planziel „Bau eines Radweges“. Dass dadurch die
Bebauung an der möglichen Bahntrasse eingedämmt würde, sei eine begleitende
städteplanerische Funktion, hatte Bauamtsleiterin Ute Börner erklärt. Denn die
Bebauung in dritter, vierter und sogar fünfter Reihe müsse reguliert werden.
Für Vertreter der SPD-Fraktion war dies gleichzeitig die einzige Möglichkeit,
die Option auf einen S-Bahn-Ringschluss von Teltow über Stahnsdorf nach
Kleinmachnow zu wahren. Scheitert der Bebauungsplan – was nach dem Ergebnis der
ersten Abstimmung als wahrscheinlich gilt – herrscht auf den betroffenen
Flächen allgemein gültiges Baurecht. Die angestrebte S-Bahn-Trasse kann damit
bebaut werden. Ein Ringschluss gilt in diesem Fall als sehr unwahrscheinlich,
da die neuen Häuser wieder abgerissen werden müssten.
So sprach einer der zuständigen Planer von einem „Bärendienst“, den sich die
CDU-Vertreter erwiesen hätten: Mit der Ablehnung des Radwegs sei die
Ringschluss-Option für Stahnsdorf praktisch gestorben. Genug Stimmen hatten die
Radweg-Gegner eigentlich schon zusammen, wenn da nicht die schwache Blase von
Regina Schwarz gewesen wäre. Jetzt werden die Justiziare über die Bedeutung
ihrer Pipi-Pause entscheiden müssen. Ein Ergebnis wird im Rathaus für Dienstag
erwartet. Tobias Reichelt