PNN 29.09.09

 

In letzter Minute

Sieben Stunden hat Rolf Kutzmutz geführt – doch Teltow rettet die SPD. Ein dramatischer Wahlabend(29.09.09)

Potsdam - Es ist ein Uhr zwanzig, als das Telefon von Andrea Wicklein klingelt. Sie sitzt im Potsdamer Kino Thalia, die Wahlparty der SPD ist lange vorbei, die Computer sind aus. Bis jetzt hat die Bundestagsabgeordnete gegen den Linken Rolf Kutzmutz im Kampf um das Direktmandat zurückgelegen. Teilweise mit mehr als fünf Prozentpunkten. Selbst in ihrer Heimatstadt Potsdam, in der sie einige Zeit als Stadtverordnete im Rathaus saß, hat Wicklein deutlich verloren. Doch das Ende eines quälenden Wahlabends naht. Und das Ende kommt dick. Denn Teltow hat die Wahl gedreht. Wicklein gewinnt vor Kutzmutz und kann direkt in den Bundestag einziehen – mit 201 Stimmen Vorsprung. Ein Last-Minute-Sieg.

Zwölf Stunden später: Wicklein sitzt in Potsdam zur Pressekonferenz und künftig auch wieder im Bundestag. Dabei hat es lange Zeit nicht danach ausgesehen. Denn die frühere SPD-Hochburg Potsdam ist gefallen, die Potsdamer haben bei der Bundestagswahl Links gewählt. Sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen. Bei der Auszählung der Ergebnisse aus den 284 Wahlbezirken im Wahlkreis 62 hat Wicklein zu keiner Zeit vorn gelegen. Selbst nachdem in Kleinmachnow ausgezählt worden ist, wo die CDU gewonnen und die Linke ihr schlechtestes Ergebnis zu verzeichnen hatte, sah es nicht nach einem Sieg für Wicklein aus. Doch wahrhaben wollte sie das während des gesamten Abends nicht.

Trotz des knappen Sieges heißt es für die SPD nun „Wunden lecken“, sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Brandenburgs Klara Geywitz. Denn Wicklein hat eingebüßt. Zwölf Prozentpunkte hat sie bei den Erststimmen im Vergleich zur letzten Bundestagswahl vor vier Jahren verloren. Dabei wird ihr ein engagierter Wahlkampf bescheinigt. Und ein Auftreten im Wahlkreis auch außerhalb der Wahlkampfzeiten. Noch dramatischer liest sich der Abrutsch bei den absoluten Stimmen – gegenüber ihrem ersten Sieg im Jahr 2002 holte Wicklein sogar 29 200 weniger. Da ist es nur ein schwacher Trost, dass ihre Mitbewerber um das Direktmandat, der Linke Rolf Kutzmutz und die CDU-Frau Katherina Reiche ebenfalls einbüßten. Wicklein macht auch den negativen SPD-Bundestrend dafür verantwortlich, den sie zu spüren bekam. Der Wähler differenziert immer mehr und „kreuzt nicht mehr durch“, wählt also durchweg nur eine Partei, egal ob Bundestags- oder Landtagswahl.

Wicklein fürchtet nun ein wenig die kommende Rolle im Deutschen Bundestag. Vor allem die Interessen des Ostens sieht sie innerhalb der SPD künftig weniger stark vertreten als bislang. Von 46 Bundestagsmitgliedern aus den neuen Bundesländern sind jetzt nur noch 23 im neuen Bundestag. Dabei ist es so wichtig, diese speziellen Ost-Themen zu besetzen.

Ihr Weg in die Politik war kein geradliniger und immer wieder auch mit Kampf verbunden. Wicklein hatte ihre Arbeit verloren und kam 1991 über eine ABM- Stelle bei der Bürgerberatung Brandenburg im Haus der SPD zur Politik. Es folgte ein Bürojob bei einem Parlamentarier, später war sie Referentin im Landtag. Und dann 2002, zehn Jahre nach ihrem Beitritt zur SPD, die Kandidatur für den Bundestag. Gegen den damaligen – durchaus beliebten – Amtsinhaber, SPD-Mann Emil Schnell. Wicklein setzte sich durch. In diesem Jahr hat sie ihren dritten Wahlkampf erlebt, den schwierigsten überhaupt. Den Bundestrend der SPD haben auch die Kandidaten vor Ort zu spüren bekommen. Während sie weiter im Bundestag sitzt, hat Rolf Kutzmutz von den Linken den Wiedereinstieg in die Bundespolitik knapp verpasst.

Kutzmutz ist nicht über die Landesliste abgesichert und kann daher auch nicht in den Bundestag einziehen. Enttäuscht sei er nicht, sagte der 62-Jährige noch am Wahlabend: „Meine Enttäuschung habe ich vor vier Monaten gehabt, als es um die Liste ging. Seitdem hatte ich genügend Zeit, das zu verarbeiten.“ Einer erneuten Kandidatur in vier Jahren erteilte er eine Absage: „Es gibt viele junge Leute, die nun ran wollen.“ Kutzmutz verwies auf seine Arbeit als Leiter der Geschäftsstelle der Linken-Fraktion im Landtag und als Potsdamer Stadtverordneter. An eine Koalition zwischen seiner Partei und der SPD im Land glaubt er nicht: „Ein Partner auf Augenhöhe, das ist nicht Platzecks Sache.“ Andrea Wicklein kann sich auch keine Koalition mit den Linken im Land vorstellen. Sie sprach sich für eine Rot- Schwarze Koalition aus.

Neben Andrea Wicklein werden auch Cornelia Behm von den Bündnisgrünen sowie Katherina Reiche den Wahlkreis künftig im Bundestag vertreten. Reiche hat ihr Ergebnis verbessert, um 1,9 Prozent. 40 705 Stimmen hat die Potsdamer CDU-Chefin erhalten, das entspricht 24 Prozent der Stimmen. Der Wahlkreis mit Potsdam sei schon immer schwierig gewesen, sagte sie. „Ich denke, dass meine Person das Ergebnis für die CDU verbessert hat“. Die Luckenwalderin hat einen Wahlkampf-Marathon hinter sich. Zahlreiche Bundes-CDU-Politiker haben sie dabei in Potsdam und Umgebung unterstützt. Das scheint gewirkt zu haben, denn Reiche hat in fünf Städten und Gemeinden in ihrem Wahlkreis die Mehrheit der Stimmen geholt – und dennoch in der Reihenfolge nur den dritten Platz belegt. Vor allem in Potsdam ist es weiterhin schwer für die CDU zu punkten, während in Werder (Havel) und Kleinmachnow die Hochburgen der Christdemokraten liegen.

Für Kutzmutz, der einen unaufgeregten Wahlkampf hinter sich hat, liegen die Hochburgen in der Stadt Potsdam sowie den Gemeinden Nuthetal und Schwielowsee – er erhielt 48 505 Stimmen. Das sind 28,6 Prozent, ein Plus um 2,9 Prozentpunkte. Und die einst kleinen Parteien auf dem Bundesparkett? Cornelia Behm erhielt 9,7 Prozent, die FDP mit Jan Syré 7,3 Prozent – beide unter dem Bundesdurchschnitt. Beide konnten gelassen auf die letzten ausgezählten Wahlbezirke in ihrem Wahlkreis warten – es änderte nichts mehr. Anders als bei Andrea Wicklein. jab/gb/KG