PNN 24.09.09

 

Von Tobias Reichelt

Ein schmaler Pfad

Für einen Radweg, auf dem später die S-Bahn rollen könnte, sollen fast 70 Stahnsdorfer enteignet werden (24.09.09)

Stahnsdorf - Marcus Kramers Lebensplanung wurde gerade über den Haufen geworfen. Die Sache mit dem Radweg, sagt der zweifache Familienvater aus Stahnsdorf, sei eine „traurige Geschichte“. Kramer hat – wie viele andere der fast 70 Betroffenen – in der Bauausschusssitzung am Dienstagabend erfahren, dass sie womöglich bald einen Teil ihrer Grundstücke abgeben müssen. Den Anwohnern der Friedrich-Naumann- und der Bahnhofstraße droht die Enteignung, die Gemeinde plant hier einen Radweg als Vorläufer einer S-Bahn-Strecke.

Schon im Jahr 2006 hatten die Gemeindevertreter beschlossen, die alte Freihaltetrasse zu sichern: Immer mehr Häuslebauer drohten sich den Bahn-Plänen in den Weg zu stellen. Ein S-Bahn-Ringschluss zwischen Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow wäre zum Scheitern verurteilt. Stahnsdorf zog die Notbremse. Ein Bebauungsplan für das Gebiet sollte her, eine „Veränderungssperre“ wurde erlassen, um weitere Bauprojekte hier zu verhindern.

Die Deutsche Bahn AG, die Marcus Kramer vor knapp zwei Jahren ein Grundstück an der Friedrich-Naumann-Straße verkauft hatte, machte für die Gemeindepläne derweil keine Werbung. Im Gegenteil: Man habe ihm erklärt, dass die Flächen nicht mehr benötigt würden, eine S-Bahn werde es dort nicht geben, erinnert sich Kramer an das Verkaufsgespräch. Er kaufte zum handelsüblichen Preis und konnte tatsächlich sein Haus bauen: Die Gemeinde machte hier wie anderswo eine Ausnahme von der Veränderungssperre. Kramer plante weiter: Er wollte sein Grundstück teilen, für seine Eltern und Schwiegereltern ein zweites Haus bauen. „Wir wollten drei Generationen vereinen“, sagt Kramer. Doch dort, wo das zweite Haus hin sollte, will die Gemeinde den Radweg haben.

300 Quadratmeter würden für Kramer unbrauchbar – 250 Quadratmeter sollen zu „privatem Grünland“ umgewidmet werden. Kramer darf die Fläche behalten, aber nicht bebauen. 50 Quadratmeter werden tatsächlich enteignet und bezahlt, auf ihnen soll der drei Meter breite Radweg entstehen. Würde später eine Bahn gebaut, müsste Kramer noch mehr Grundstück abgeben, deshalb der Puffer.

Kramer hat sich der Interessengemeinschaft angeschlossen, die 47 der betroffenen Grundstückseigner an der Trasse gebildet haben. Ihr Sprecher Andreas Krohn wirft der Gemeinde eine „Arroganz der Macht“ vor. Rathaus und Gemeindevertreter gingen rücksichtslos mit dem Eigentum anderer um. Für einen Radweg zu enteignen, um Bahn-Pläne zu sichern, die nicht vorhanden sind, sei rechtswidrig, erklärte Krohn. Ihr Anwalt bereite bereits eine Klage vor.

Die Gemeindevertreter, die womöglich am 1. Oktober über den Bebauungsplan entscheiden, ringen derweil mit sich selbst: „Für einen Radweg enteignen wir nicht“, sagte CDU-Fraktionschef Claus-Peter Martensen. Die S-Bahn-Pläne wolle man aber auch nicht aufgeben. FDP-Vertreter Günter Wüstenhagen sprach von einer „Vorsorgepflicht der Gemeinde“ in Sachen S-Bahn, hatte aber in der Bauausschusssitzung auch seine Probleme mit dem Radweg. Ähnlich SPD-Politikerin Silke KuckSchellhammer: Sie sah Ungerechtigkeiten in der Planung – einige Grundstückseigner hätten in der Vergangenheit dichter an die Trasse bauen dürfen als andere künftig. Ihr Parteikollege Michael Tetzner verteidigte hingegen den Radweg als ein „zumutbares Opfer“, wenn man die Bahnpläne sichern wolle.

Anwohner Marcus Kramer hofft auf ein Einsehen der Vertreter: „Den Ringschluss braucht kein Mensch“, sagt er. Und den Radweg eigentlich auch nicht.