PNN 08.08.09
Von Tobias Reichelt
Kleinmachnow - Im Umkreis von 30 Kilometern gibt es das kein
zweites Mal, sagt Otfrid Becker und zeigt auf ein Metallgitter am Boden. Eine
dunkle Grube tut sich hinter den Gitterstäben auf. Zu sehen ist darin nichts.
Nur ein leises Wasserrauschen ist aus dem Dunkel zu vernehmen. „Sie lieben das
Rauschen“, sagt Becker. Erst vor wenigen Wochen hat der 65-Jährige erfahren,
welche Kostbarkeit sich in der Grube verbirgt: „Hier nistet ein
Gebirgsstelzenpaar, kleine Vögel mit gelben Bauch, sonst nur zu finden an
fließenden Gewässern in den Bergen“, erklärt Becker den staunenden Besuchern
der Kleinmachnower Schleuse. Zwar traut sich das Vogelpärchen gerade nicht aus
seinem Loch, dennoch ist Becker die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf der
Schleusenplattform gewiss.
Seit knapp anderthalb Jahren bringt der ehemalige Beamte mit „familiären
Bezügen zur Binnenschifffahrt“ Wochenende für Wochenende zahlreichen Besuchern
das imposante Schleusenbauwerk am Teltowkanal näher. Alles ehrenamtlich und mit
Hilfe seiner zwei Kollegen: Dem früheren Schichtleiter der Schleuse, Peter
Richter, und dem ehemaligen Wasserbaulehrer Werner Polzien. Gemeinsam haben die
drei Rentner schon 22 000 Menschen an der 104 Jahre alte Schleuse empfangen –
mehr Besucher, als Museen der Region verzeichnen.
Die Schleuse hat ihre Faszination nicht verloren, sagt Becker. Wenn die Sonne
scheint, strömen die Schaulustigen in Scharen zu dem Bauwerk aus der Zeit
Kaiser Wilhelm II. Von klein bis groß drängen sich die Menschen an dem Geländer
über der Nordkammer, der derzeit einzigen von drei Kammern der Schleuse, die
aktiv ist. Alle paar Minuten füllt und leert sich das Wasserbecken und
transportiert Fracht- und Hobbyschiffer über die 2,74 Meter hohe Schwelle des
Teltowkanals.
Schon früher war die Machnower Schleuse ein beliebter Treffpunkt, erzählt
Becker. Um ihren verstorbenen Familienmitgliedern auf dem nahegelegenen
Stahnsdorfer Südwestkirchhof zu gedenken, kamen die Besucher, meist Berliner,
in die Region gereist. „Anschließend gingen sie in die Gaststätte, das meist an
der Schleuse“ – schon damals ein Verkehrsknotenpunkt und Ausflugsort. Rings um
die Schleuse gab es einst vier Gasthäuser – meist alle gut belegt. Die Menschen
tummelten sich an 60 Meter langen Bierbänken in sechs Reihen, feierten in den
großen Sälen oder schlossen den Abend in der früheren Weinstube ab. Später ging
es dann mit der Straßenbahn der Linie 96 zurück nach Berlin.
Ein historischer Wagen der Linie steht seit Juni wieder an seiner früheren
Endhaltestelle an der Schleuse in Kleinmachnow. Die drei Heimatvereine der
Region nutzen den Wagen als Informationszentrum. Straßenbahn und Schleuse würden
sich nicht nur in seinen Vorträgen gut ergänzen, sagt Becker: Viele Jahre
brachte die Straßenbahn immer wieder neue Gäste zur Schleuse. Die Bierbänke
mussten indes den Bauplänen des Nazi-Architekten Albert Speer weichen. 1939
begann der Bau an der Nordkammer. Die Gasthäuser wurden zum Teil abgerissen.
Mit einer Länge von 85 und einer Breite von 12 Metern ist sie die größte der
drei Kammern. Durch sie sollten in Berlin-Tempelhof gefertigte Druckkörper für
Kampf-U-Boote geschleust werden.
Obwohl die Kammer vor Ende des Krieges fertiggestellt wurde, passierten in den
folgenden Jahren jedoch nur noch eine handvoll Schiffe die Schleuse: Gegen Ende
des Krieges mussten alle drei Kammern gegen Bombenangriffe gesichert werden,
später teilte die Grenze den Kanal in Ost und West – Schleuse und Kanal wurden
stillgelegt. Erst Ende der 70er Jahre fanden Ost und West in der
Schifffahrtswegefrage zueinander. Die Bundesrepublik investierte knapp 16
Millionen Mark, um Kanal samt Schleuse wieder befahrbar zu machen.
An den Tag der Wiederinbetriebnahme im Jahr 1981 können sich die drei Herren
genau erinnern: Ein Frachtschiff mit dem Namen „Hans Burmeister“ passierte
die Nordkammer der Schleuse als erstes. Es lieferte Öl nach Berlin
Lichterfelde. Bis heute folgten dem Frachter Tausende weitere Schiffe – zuletzt
im Jahr 2008 allein knapp 3500 Lastkähne.
Mit dem geplanten Ausbau der Nordkammer könnten es sogar noch mehr Schiffe
werden, hoffen die Ehrenamtler. Sie fiebern dem seit Jahren angekündigten Bau
entgegen. Während sich Politiker und Umweltschützer allerdings noch um das
Bauvolumen streiten – diskutiert wird ein Ausbau auf 115 bzw. 190 Meter Länge –
sind sich die drei einig. Nur eine möglichst große Kammer sei der Bedeutung der
Schleuse gerecht. Eine Sorge besteht allerdings: Ob das Gebirgsstelzenpärchen
auch Baugeräusche mag, wird noch abzuwarten sein.
Die Schleusnerbude ist an den Wochenenden von 12 bis 18 Uhr geöffnet. In dieser
Zeit ist auch die historische Straßenbahn besetzt. An jedem ersten Sonntag im
Monat gibt es zudem um 15 Uhr eine Schleusenführung.