PNN 28.07.09
Schmetterling: Da ist es! Dort unten! Es ist eins!
Wisser: Ich sehe überhaupt nichts. Pure Einbildung.
Stech: Aber ja, da, da unten! Es dreht sich im Kreis.
Schmetterling: Meine Herren, zweifellos. Es dreht sich im Kreis.
Stech: Es kann nicht heraufkommen. Es gibt keine Treppe mehr.
Schmetterling: Es hat unsere Treppe kaputtgemacht.
Umso besser. So was musste ja kommen.
In diesem Dialog aus dem berühmten Theaterstück von Eugene Ionesco handelt es
sich bekanntlich nicht um Wildschweine, sondern um Nashörner. Eine Parallele zu
den tatsächlichen Begebenheiten in unseren Ortschaften rund um Berlin zu
ziehen, mag für den braven Bürger unzumutbar sein. Doch wo eigentlich liegt die
Zumutung? In dem, was sie neuerdings in ihrem vertrauten Wohnumfeld mit der
Wildschweinplage erleben, oder in diesem Vergleich mit einer
Nashorn-Okkupation?
Der Bühnendichter schrieb eine gespenstische Vision auf, in der am Anfang nur
eine Katze zertreten wird, dann die gewalttätigen Tiere die Straße beherrschen
und sich schließlich die hilflosen Menschen selbst in dieselben verwandeln.
Warum? Weil sie eine Bedrohung nicht wahr haben wollen, sondern sich in
gegenseitigen Verdächtigungen und Schuldzuweisungen ergehen, statt entschlossen
zu handeln. Selber dran schuld – das ist die Endkonsequenz des schockierenden
Parabelstückes.
Verlassen wir die Parabel, und blicken den Fakten ins Auge. Da gibt es also
diese bis in die neunziger Jahre im Berliner Grunewald gehegten und gepflegten
Tiere, welche dann aus ihrem umzäunten Gehege in die Freiheit entlassen wurden.
Im Gegensatz zu den vorher neuer Freiheit überantworteten Menschen dankten sie
mit hemmungsloser Vermehrung. Nun schwärmen die Schwarzkittel in hellen Scharen
ins Umland aus. Und was finden sie? Futter da und dort ganz im Umfeld bewohnter
Behausungen. Zuerst begegneten sie bereitwillig geöffneten Gartentüren und
Menschenherzen. Nunmehr abgelöst von offenen Mündern in von immer neuem
Entsetzen gezeichneten Gesichtern.
Sprachlos sieht der Naturfreund die Verwüstungen, und fragt sich. Was tun? Auch
die letzten wahren Naturfreunde werden nun zu wehrhaften Stahlgerüsten und
Betonmauern genötigt, an denen sich die hungrigen Schweineschnauzen die Zähne
ausbeißen sollen. Verkehrte Welt: Die Zubetonierer und Friedhofsheckenpflanzer,
die Rollrasenplanierer und Mäuerchensetzer haben gut hohnlachen über die
Naturgartenpfleger mit ihren Wildschäden.
Einigeln ist angesagt. Auch der gerade kursierende Flyer des Gemeindeamtes
Kleinmachnow verkündet beschwichtigend „Die Jagd ist kein Allheilmittel“. Zur
menschlichen Kultur gehört das Jagdwesen. Immer schon sorgten Förster und Jäger
für ein harmonischesw Gleichgewicht zwischen dem Nebeneinander von tierischer
und menschlicher Lebenswelt. Dem edlen Waidhandwerk anzutragen, Polizeiaufgaben
zur Gewährleistung der Sicherheit unserer Wohngegenden zu übernehmen – geht das
nicht zu weit? Öffentliche Aufgaben für privatwirtschaftlich denkende und
handelnde Waidmänner?
Da liegt das Problem, und der Arm der Verwaltung erlahmt inzwischen im Bitten
um Hilfeleistung. Nicht einmal der Griff in die Kasse zum Lockermachen
zusätzlicher Abschussprämien war bisher zu schaffen. Sträflich in den
Vorruhestand geschickte Förster als Gemeindejäger reaktivieren? Wer soll das
denn bitte bezahlen?
Wer weiß denn überhaupt, ob die unberechenbaren Viecher demnächst nicht wieder
kehrt machen? Muss nicht Tierschutz für Schonzeit gegen böses Abschießen
sorgen? Und ist das Ganze nicht unausweichlich, weil wir Häuslebauer die lieben
Tiere von angestammtem Heimatland vertrieben haben? Erstens aberglaube an
Naturwunder, wer will. Ich nicht. Zweitens soll ein auf solch merkwürdige Art
Grüner meinetwegen schwarz werden vor Gram, wenn sein über alles geliebtes
Schwarzwild endlich in die Flucht gejagt wird. Und drittens war unter
heimischen Eichen einst lediglich das eichelfressende verwilderte Hausschwein
zu Hause, und das tat keinem Siedler etwas zuleide.
Krähen und Marder, Maulwürfe und Füchse sind offenbar besiegbar, aber die
kämpferischen Rotten von der schwarzen Front liegen tags im Hinterhalt, und
nachts treibt Hunger und Übermut sie in unsere Gärten. Soll ich mich damit
trösten, den Bestseller meiner Kinderzeit „Möff Pürzelmann“ aus dem
Bücherschrank zu nehmen und selig darin zu schmökern, während draußen der
Überlebenskampf der Möffs von heute tobt? Am besten ich kaufe mir die
Postkarten unseres Heimatfotografen mit hier „geschossenen“ und besinnlich
betexteten Wildschweinfotos und schicke sie zur Ansicht in alle Welt. „Seht
her, wie weit wir es gebracht haben.“ Und dann schlage ich meinen Ionesco auf
und lese laut vor:
Daisy: Sie singen, hörst du?
Behringer: Sie singen nicht, sie schnauben.
Daisy: Du bist verrückt, sie singen. Und sieh doch nur, sie spielen, sie
tanzen!
Behringer: Das nennst du tanzen? Sie sind gemein.
Daisy: Ich will nicht, dass man schlecht von ihnen spricht. Das tut mir weh.
Der Autor ist Karikaturist und Schriftsteller. Er lebt seit 1956 in Kleinmachnow