PNN 16.06.09
Von Heidi Jäger
Die Gesichter sind angespannt und entschlossen. Man spürt förmlich das
Vibrieren, das die dicht gedrängten Menschen vereint. „Wir sind das Volk. Wir
kommen. Dona nobis pacem“, steht auf dem Schild, das eine Frau unerschrocken
auf ihrer Brust trägt. Der Marstall ist kaum zu sehen hinter den Massen, die am
2. Dezember 1989 ihren Willen nach Veränderung bekunden.
Dicht gedrängt stehen auch die Ausstellungsbesucher im Landtag vor den Bildern
des Kleinmachnower Fotografen Bernd Blumrich, die seit gestern dort zu sehen
sind und noch einmal die Gefühle zwischen Mut und Angst, Hoffnung und Zweifel
an die Oberfläche spülen. 20 Jahre sind es her, als sich die Menschen aus der
Erstarrung zu lösen wagten, Linienuntreue bewiesen. Wie Matthias Platzeck, der
mit schwarzem Rauschebart am 3. November 1989 auf der ersten Vollversammlung
des Neuen Forums die Beendigung der Führungsrolle der SED fordert. Diese
verkrustete Einheitspartei regierte dort, wo er heute das Sagen hat. Nicht nur
zur Ausstellungseröffnung. „Alles war damals unklar, unsortiert und nach vorne
offen, für viele die schönste und aufregendste Zeit.“
Und wohl auch die aufreibendste. Es ist bewegend, noch einmal auf den
inzwischen verstorbenen Rudolf Tschäpe zu schauen, der sich in seiner leisen
Art so engagiert und furchtlos für Veränderungen einsetzte. Artig wie ein
Jungpionier und entwaffnend in seiner schlichten Aufrichtigkeit steht er als
Mitbegründer des Neuen Forums in der Volkssolidarität in der Potsdamer
Waldstadt, um am 13. Oktober 1989 mit Genossen der SED-Kreisleitung zu
diskutieren. Man spürt die bleierne Schwere nicht nur in seinen Knien, sondern
im ganzen Raum. In der Ausstellung wird auf den zweiten fotografischen Blick in
die damalige Veranstaltung verzichtet, wie er in dem 2007 erschienenen
„Linienuntreue“-Buch von Blumrich ( Lukas Verlag) enthalten ist: Er zeigt den
damaligen 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, Rolf Kutzmutz, smart und jovial als
Tschäpes Gegenüber.
Überhaupt sind es die Gesichter, die in der Ausstellung vor allem gefangen
nehmen, wie das des Wende-Revolutionärs Detlef Kaminski, der in der aus allen
Nähten platzenden und von der Polizei umzingelten Friedrichskirche die
Wahlfälschung anprangerte und wenig später dem damaligen SED-Bezirkssekretär
Heinz Vietze untersagte, auf einer Kundgebung des Neuen Forums im Dezember 1989
zu sprechen. Schließlich stand dieser für die Wahlfälschung ebenso wie für die
Verweigerung, das Neue Forum anzuerkennen, mit in Verantwortung. Gerade durch
die großen Formate in der Ausstellung gehen diese Momentaufnahmen noch mehr
unter die Haut.
Platzeck betonte zur Vernissage, dass ihn die ständig wiederholte Fragen von Journalisten,
ob die DDR nun ein Unrechtsstaat gewesen sei oder nicht, nur noch nerve. „Wenn
es keiner gewesen wäre, gäbe es diese Bilder nicht.“ Er plädierte auch heute
für mehr Selbstbewusstsein, das man gerade aus den Herbst 1989 ziehen könne.
„Wir sollten den Satz ,Mir san mir’, nicht den Bayern überlassen. Denn
schließlich leben wir trotz der Deindustrialisierung, die wir im Osten
erlebten, heute nicht im Heimatmuseum, sondern modern mitten in Europa.“ Und
dazu habe auch der Ruf: „Keine Gewalt“, den die Demonstranten von ihrer ersten
bis zur letzten Kundgebung auf den Lippen führten, beigetragen. „Die Bürger
waren klüger und mutiger als die Regierung, die anfangs noch das Chinesische
Modell erwog.“
Es dauerte nur zwei Sommer, was Bernd Blumrich in seiner
Foto-Text-Dokumentation über Potsdam, Kleinmachnow und Teltow so unbestechlich
einfing. Und doch veränderten sie das ganze Leben. Völlig entspannt radelt im
August 1990 ein älterer Herr auf dem ehemaligen Postenweg am Teltowkanal
entlang. Der Stacheldraht ist abmontiert, Unkraut wuchert zu Füßen der nun
überflüssig gewordenen Betonmauern, die Ulbricht für die „Ewigkeit“ bauen ließ.