PNN 13.02.09
Landrat Lothar Koch ist heute den letzten Tag im Dienst. Im PNN-Interview schaut er auf fast 20 Jahre in dieser Funktion zurück, spricht über komplizierte Wirtschaftsansiedlungen, über ergriffene und vertane Chancen und blickt in die Zukunft in Zeiten der Finanzkrise
Sie sind seit fast zwei
Jahrzehnten als Landrat für den Landkreis Belzig und später für
Potsdam-Mittelmark verantwortlich. Das ist de facto die komplette
Nachwendezeit. Welche persönliche Bilanz ziehen Sie 20 Jahre nach dem
Mauerfall?
Ich war seit Anfang der 80er Jahre der tiefen Überzeugung, dass es mit
der DDR zu Ende geht, der Abstand zwischen Ideologie und Wirklichkeit war
unüberbrückbar. Beruflich habe ich als Ingenieur für Nachrichtentechnik auch
keine Perspektive mehr gesehen, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter habe ich
fast nur noch für den Papierkorb gearbeitet. Ich trug mich damals mit dem
Gedanken, in den Westen abzuhauen. Bei einer Westreise bekam ich aber 1988 dann
doch das Gefühl, dass ich in den Fläming gehöre und hier etwas bewirken möchte.
Damals wurde ich politisch tätig, gründete die Bürgerinitiative in meinem
Heimatort Brück und später auch die SPD-Ortsgruppe. Über den Belziger Runden
Tisch kam ich in den Kreistag und wurde 1990 zum Landrat des Landkreises Belzig
gewählt. Ich bin unheimlich dankbar für die Ereignisse der Wende.
Erinnern Sie sich an Ihren politischen
Einstieg?
Ja, viele Dinge, die ich vorher nur geahnt habe, wurde mir damals in recht
dramatischer Form nochmal vor Augen geführt. Die Planwirtschaft hatte
überkommene Verwaltungsstrukturen, eine marode Infrastruktur und eine am Boden
liegende Wirtschaft hinterlassen. Das war für mich ein unglaublicher Antrieb
für die neuen Planungsabsichten. Es gab viele Weggefährten, die ernsthaft und
ehrlich den schwierigen Aufbauprozess nach der Wende begleitet haben und bis
heute begleiten.
1994 mit der Kreisgebietsreform wurden der Landkreis Belzig und der Landkreis
Potsdam-Land zusammengelegt. Es gab die Frage, ob der künftige Landrat von
Potsdam-Mittelmark Lothar Koch oder Norbert Glante heißen wird.
Ich habe mich bei der Kandidatenauswahl in der SPD gegen Norbert Glante
durchgesetzt und wurde vom Kreistag zum Landrat gewählt. Diese Aufgabe ist für
mich wie eine Art Berufung, für die ich auch keinen Ministerposten eingetauscht
habe.
Sie haben maßgeblich und gegen viele Widerstände dafür gesorgt, dass Belzig zur
neuen Kreishauptstadt wird. Wie sehen Sie das heute?
Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass es richtiger gewesen wäre, die Stadt
Brandenburg (Havel) dem Landkreis zuzuordnen und zur Kreishauptstadt zu machen.
Belzig nimmt ja seine besondere Entwicklung als Kurstadt. Man hätte gemeinsam
mit Brandenburg mehr für die Region erreichen können, stattdessen beobachten
wir einen elenden finanziellen Abstieg dieser schönen Stadt. Brandenburg
(Havel) verzehrt sich aufgrund der geringen Bevölkerungszahlen an den
pflichtgemäß übertragenen Aufgaben. Der Zusammenschluss wird sicher eine
Aufgabe der Landesregierung für die kommende Legislaturperiode.
Zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Woran werden Sie sich künftig besonders
gern erinnern?
Mein Ziel als Landrat war immer, eine auf die regionalen Potenziale ausgelegte
Identität zu fördern und zu organisieren. Ein besonders gutes Beispiel dafür
ist, wie aus dem Naturpark Hoher Fläming heraus der Tourismus entwickelt wurde.
Dass ich daran beteiligt war und der Tourismus im Fläming heute zu den
wichtigsten Wirtschaftszweigen zählt, gehört sicher zu meinen größten
Leistungen.
Da wächst neben dem Fläming eine zweite Tourismusregion im Landkreis an der
Potsdamer Havel. Mit Rückendeckung des Landkreises konnte mit dem Resort
Schwielowsee ein Ausrufungszeichen in Werder (Havel) gesetzt werden. Sie haben
mal davon gesprochen, dass man solchen Projekten „nicht immer mit geballter
Gesetzeskraft“ begegnen sollte und dafür auch Kritik geerntet.
Es ist wenig bekannt, aber ich habe den Investor Axel Hilpert selbst überredet,
den Standort des früheren Jugentouristhotels zu entwickeln. Der hässliche Asbestbau
hatte ja den gesamten Schwielowsee überschattet. Axel Hilpert wollte sein
Hotelprojekt ursprünglich in Verbindung mit dem Schloss Petzow entwickeln. Ich
schlug ihm stattdessen vor, zwei unterschiedliche Hotelstandorte unter
verschiedenen Vorzeichen zu bauen. Ich fühlte mich als Landrat für die
erfolgreiche Umsetzung in besonderer Weise verantwortlich, wir haben das im
Landratsamt entsprechend unterstützt und der Erfolg gibt uns Recht. Das es bei
Investitionen in dieser Größenordnung auch kritische Stimmen und Pannen gibt,
muss ich wohl hinnehmen. Die Pfahlhäuser im Schilfgürtel sind Herrn Hilpert
aber zum Beispiel gar nicht anzulasten, sie wurden gebaut, als er mit einem
Herzinfarkt im Krankenhaus lag.
Potsdam-Mittelmark ist 1994 mit guten Voraussetzungen und einer bevorzugten
Lage an den Start gegangen, gerade wenn man sich den Speckgürtel anschaut.
Meinen Sie, dass diese Potenziale überall ausgeschöpft wurden?
Da bleiben wir beim Thema: Als positives Beispiel sehe ich Werder, die Stadt
hat ihre touristischen und wirtschaftlichen Potenziale richtig eingeschätzt und
eine sehr gute Entwicklung genommen. Dagegen bin ich, gerade wenn wir über den
engeren Verflechtungsraum reden, traurig, dass man in der Region Teltow,
Kleinmachnow und Stahnsdorf nicht zu einer größeren Gemeinsamkeit gefunden hat.
Es gab eine gute Entwicklung, gerade was den Technologiestandort Teltow angeht.
Aber man hätte weit mehr daraus machen können, wenn man sich in einer Kommune
zusammengeschlossen hätte. Im Übrigen: So einfach war der Start auch wieder
nicht. In der Peripherie hat sich unsere Lage als Nachteil erwiesen: Weil wir
mit Brandenburg (Havel) und Potsdam von zwei Oberzentren belagert werden,
fanden und finden manche zentralen Entwicklungen bei uns einfach nicht statt.
Wir haben zum Beispiel auch nicht, wie der Landkreis Teltow-Fläming, ein
industrielles Kompetenzzentrum wie Ludwigsfelde vorzuweisen.
Welche Wirtschaftsansiedlung im Landkreis liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ich habe fast jede Wirtschaftsansiedlung im Landkreis persönlich begleitet, und
wir haben uns im Landratsamt und mit den Bürgermeistern darum bemüht, dass gute
Ideen nicht durch enge Entscheidungsrahmen kaputt gemacht werden, wenn ich an
Haake-Haus in Werder oder Ebay in Kleinmachnow denke. Oder auch an kleinere
Projekte wie die Springbachmühle in Belzig: Da gab es im Außenbereich keine
Chance, weiterzumachen mit dem Hotel- und Gaststättenstandort, und das am
internationalen Radweg R1. Heute haben wir einen zufriedenen Inhaber,
zufriedene Gäste und sehen, dass es mit dem zweiten Hotelbau wunderbar
funktioniert.
Beim Güterfelder Bauernmarkt, der ja mit Ihrer Rückendeckung ohne
Baugenehmigung in Betrieb genommen wurde, sind Sie an der Intervention des
Bauministeriums gescheitert.
Ich habe damals vor laufender Kamera gesagt, dass es unverständlich und nicht
hinnehmbar ist, so etwas zu verhindern. Da haben sich Leute unter hohem
finanziellen Einsatz auf einer schon versiegelten Brache um ein attraktiven
Anziehungspunkt für die Region bemüht. Der Marktbetreiber wollte uns
vertraglich zusichern, dass er nach fünf Jahren einen Markt baut, der allen
Kriterien gerecht wird. Dass der Güterfelder Bauernmarkt dann durch Dummheit
und Ignoranz des Landes unter großem Kameragedröhn nicht genehmigungsfähig
blieb, kann ich bis heute nicht verstehen. Ein Dutzend Geschäftsleute mussten
dafür die Segel streichen, die Ruine steht heute noch. In Klaistow haben wir es
gescheiter angestellt, der Bauernmarkt ist zu einem Wallfahrtsort für
Zehntausende Besucher geworden, obwohl wir auch dort im Genehmigungsverfahren
an die Grenze gegangen sind. Ich stehe dazu.
Der Landkreis hat sich mit der Gesundheitszentrum Teltow GmbH auch selbst
einmal in wirtschaftlicher Betätigung versucht und ist daran gescheitert. Die
Gesellschaft ging mit ihrem Firmengeflecht und einem nicht ganz uneigennützig
handelnden Geschäftsführer in die Insolvenz und musste schließlich mit einer
Finanzspritze des Kreises verkauft werden. Sie waren Aufsichtsratschef. Was ist
in der Rückschau schief gelaufen?
Das ist wie im richtigen Leben: Die Idee, der Poliklinik in Teltow das
Gesundheitszentrum zu erhalten und zudem auch Seniorenheime, eine
Ausbildungsstätte für Gesundheitsberufe und Jugendbegegnungsstätten zu
schaffen, war richtig. Aber wie im richtigen Leben versagen die Menschen, die
Geschäftsführung war intellektuell überfordert. Ich bin heute noch davon
überzeugt: Hätten wir die GZG saniert, wäre mit dem Krankenhaus Belzig und dem
Gesundheitsstandort Beelitz-Heilstätten mehr möglich gewesen. Dennoch war die Verkaufsentscheidung
in der damaligen Situation die richtige.
Sie gelten als Freund der großen Koalition im Landkreis, machen aus Ihren
Sympathien für die CDU keinen Hehl. Man hat manchmal sogar den Eindruck, Sie
können mit denen besser reden als mit Ihren eigenen Leuten von der SPD. Täuscht
das?
Nein, das täuscht gar nicht. Ich bin kein Fundamentalist, die Linken, die
Grünen und leider auch die SPD neigen aber mitunter zu fundamentalistischen
Positionen und setzen Idealismus anstelle von Pragmatismus. Da wird auch
manchmal so getan, als wenn wir uns auf der Bundesebene befinden, aber der
Kreistag hat keine gesetzgebende Kraft, da geht es nicht um rot, grün oder
schwarz, sondern um die Vernunft. Für mich war und ist immer die Frage, wo für
die Zukunft und die hier lebenden Menschen der beste Kompromiss zu finden ist.
Ich wurde auch schon gefragt, warum ich nicht in der CDU bin, aber da bin ich
durch meine Familie geprägt. Wir müssen auch aufpassen, dass die schwachen
Schultern nicht zu viel aufgebürdet bekommen, da bin ich wieder sehr dicht bei
meiner SPD. Wir haben in der vergangene Wahlperiode harte Entscheidungen
treffen müssen, die SPD ist fast daran zerbrochen. Aber wenn wir unseren
Haushalt nicht saniert hätten, wären wir auch auf die jetzt anstehenden
schwierigeren Zeiten nicht so gut aufgestellt.
Wie ist die Region denn auf die Finanzkrise vorbereitet?
Die Krise wird den Landkreis nicht so dramatisch zurückwerfen wie andere
Regionen. Wir haben einen gut aufgestellten Kreishaushalt. Und es gibt ja auch
keine großen und anfälligen Industriekomplexe, sondern eine relativ stabile,
mittelständische Unternehmensstruktur mit Landwirtschaft, Tourismus und
Hochtechnologie im Teltower Raum. Ein Debakel ist, dass sich die
Landesregierung so schwer tut, zum Konjunkturpaket II zu einer Einigung mit dem
Landkreistag und dem Städte- und Gemeindebund zu finden. Ich bin froh, dass
Ministerpräsident Platzeck nach seiner Krankheit so schnell zu einem Kompromiss
gefunden hat und die Kommunen zumindest auf einen Teil des Geldes schnellen
Zugriff haben. Misstrauen ist in der derzeitigen Lage einfach nicht angebracht.
Für den Landkreis besteht die Chance, den seit Jahren geplanten Neubau des
staatlichen Gymnasiums in der Region Teltow um zwei Jahre vorzuziehen und aus
dem Konjunkturpaket zu finanzieren. Er müsste dann 2010 statt 2012 fertig sein.
Ist das realistisch?
Ja, das ist eine Chance, die wir nicht verschenken sollten. Wir werden uns hier
relativ schnell einig werden. Die Verwaltung ist da auch schon weiter, als es
nach außen hin den Eindruck macht. Es ist ja auch keine ungewöhnliche Planung,
die wir dort vorhaben. Wenn wir den Standort kennen, wissen, wie es aussehen
soll und wie viel Geld da ist, muss noch der Kreistag zustimmen, und dann
pfeift das Karrenrad. Da waren wir uns in der Verwaltungsklausur am Dienstag
einig: Das Gymnasium wird in diesem und im nächsten Haushaltsjahr die
Kernaufgabe sein.
In der Kleinmachnower Gemeindevertretung wird offenbar Stahnsdorf als Standort
favorisiert.
Stahnsdorf ist sicher wenig bedacht, was die Sekundarstufe angeht. Aber aus
kreislicher Sicht haben wir auch zu bedenken, dass wir eine Schule für die
nächsten 15 Jahre benötigen und sich der Bedarf dann möglicherweise wieder
reduziert. Und in Teltow besteht schon ein Oberstufenzentrum.
Sie werden in der nächsten Kreistagssitzung erstmals als Kreistagspräsident
statt als Landrat auf dem Podium Platz nehmen. Besteht in Ihrer neuen Funktion
nicht der Reiz, dem neuen Landrat reinzuregieren?
Ich möchte mich künftig darum kümmern, die Mehrheiten für Verwaltungsvorlagen
mitzuorganisieren und hoffe, damit auch in der SPD-Fraktion ein heilsames
Umdenken bewirken zu können. Vielleicht kann ich im Hintergrund mehr für die
realistische Einschätzung und das Verständnis für die Verwaltung tun, als ich
das als Landrat konnte. Was Wolfgang Blasig angeht, werde ich mich hüten, den
Besserwisser zu spielen. Wenn ich gefragt werde, stehe ich natürlich gern mit
Rat und Tat zur Seite. Ich bin mir aber sicher, dass ihm vor allem die
hervorragende Verwaltungsmannschaft eine große Stütze sein wird und die
Kontinuität gewährleistet ist.
Das Interview führte Henry Klix