PNN 05.12.08
Wolfgang Blasig lenkte als Bürgermeister mit streitbarer Handschrift 15 Jahre lang die Gemeinde Kleinmachnow – gestern wurde der Sozialdemokrat zum Landrat gewählt
Potsdam-Mittelmark -
Politik ist ein schnelllebiges Geschäft. Es ist noch nicht so lange her, da war
Wolfgang Blasig (SPD) auf Belzig nicht gut zu sprechen. Er verfluchte den
Landrat und dessen vermeintliche Einmischung in die Geschicke am Teltowkanal.
„Das ist Dirigismus“ zürnte er, als sich Lothar Koch zur der Mutmaßung hinreißen
ließ, dass Kleinmachnow, Teltow und Stahnsdorf schon längst ein gemeinsamer Ort
wären, wenn er dort was zu sagen hätte. Hatte er aber nicht, denn der starke
Mann am Teltowkanal war Blasig, seit 15 Jahren Kleinmachnows Bürgermeister. Und
der verbot sich zornig jedwede Belehrung.
Nun ist Blasig selbst in Kochs Position: Gestern wurde der 54-jährige
Sozialdemokrat zum Landrat von Potsdam-Mittelmark gewählt. Und verhohlen fragt
man sich im Landratsamt und den mittelmärkischen Weiten fern des Berliner Speckgürtels,
wie der rauschbärtige Mann aus Kleinmachnow eigentlich ist, der in der SPD so
sehr Gewicht hat, dass er schon lange vor der offiziellen Bekanntgabe als Kochs
Nachfolger gehandelt wurde.
Zumindest wird man in Belzig erfahren
haben, dass Blasig nicht zwischen Parteifreund, Landrat oder Minister
unterscheidet, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Dann notierten die in sein
Besprechungszimmer geladenen Journalisten eifrig die zürnenden Worte des
Kleinmachnower Bürgermeisters und freuten sich über das servierte
journalistische Fressen. Oft kam das in den vergangenen Jahren allerdings nicht
vor, denn Blasig ist keiner, der mit der Faust auf den Tisch haut, kein
Polterer. Er liebt eher die tragende Geste. Gern fügt er seiner Argumentation
eine philosophische Note bei und dann kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, er schwebe ein stückweit über den Dingen. Dass er nicht abgehoben
ist, liegt vor allem an Kleinmachnow. Der Ort und seine Bewohner mit all ihren
Herausforderungen und Besonderheiten haben Blasig regelmäßig auf den Boden der
Tatsachen zurückgeholt – nicht selten im zähen Disput.
Doch bei aller Streitbarkeit, die der 54-Jährige erfährt, hat sich unter seiner
Amtsherrschaft Kleinmachnow zu einem Vorzeige-Ort entwickelt. Nicht ohne Grund
kommen Reporter angesehener überregionaler Zeitungen regelmäßig nach
Kleinmachnow, um an dessen Beispiel das Zeitalter nach der Wende zu
dokumentieren. Als „Laboratorium der Einheit“ oder als Idyll, in dem die Ost-
und Westwelt aufeinandertreffen, wurde der Ort betitelt. Die Schreiber lernten
in diesem Spannungsfeld Blasig als Bürgermeister kennen, der die Mitte besetzt
und „der gern präsidiale Reden hält“. Tatsächlich hat es Blasig in
Konfliktfällen verstanden, nach beiden Seiten auszuteilen, ohne dauerhaft weh
zu tun oder Streicheleinheiten zu geben, ohne wirklich zu trösten. Es blieb
immer ein wenig Spannung übrig, wodurch es in Kleinmachnow nie an Dynamik
verloren ging.
Es ist schwer zu sagen, wie gut Blasig seine Vermittlerrolle zwischen West und
Ost, alt und neu ausgeübt hat, wie groß seine Fähigkeiten zur Integration sind.
Aber er muss etwas richtig gemacht haben, denn die heutigen Kleinmachnower eint
das Gefühl und das Denken, dass ihr Ort besonders und einzigartig ist.
Wahrscheinlich war Blasig in den vergangenen Jahren genau der Bürgermeister,
den Kleinmachnow gebraucht hat. Der Ort ist in vielem speziell, hier hängen
Ansprüche und Erwartungen immer ein stückweit höher als anderswo, und auf fast
jedem Problemfeld, die es in einer modernen Kommune geben kann, ackert eine
Bürgerinitiative.
Da kann es schon mal vorkommen, dass jemand anmerkt, man sei nicht auf der
Insel der Glückseligen, um kurz danach Glückseligkeit zu fordern. Als
Bürgermeister hat Blasig im Laufe der Jahre diesen Zwiespalt fast täglich zu
spüren bekommen: Er habe keine oder unbefriedigende Konzepte, um den Schul- und
Kitaplatzmangel zu begegnen, um sichere Schulwege zu schaffen, um den
innerörtlichen Verkehr vernünftig zu lenken, um für ordentliche Kultur im Ort
zu sorgen, um die Sportvereine unter ein Dach zu kriegen, um das Freibad zu
retten, um Grünschneisen zu schützen, um architektonischen Wildwuchs zu
verhindern.
Tatsächlich aber hat Kleinmachnow eine so vielfältige und reichhaltige Schul-
und Kitalandschaft wie kein anderer Ort in der Mittelmark. Tempo-30-Zonen sind
in den Wohngebieten Standard. Im kommenden Jahr wird die fünfte Sporthalle
gebaut. Es gibt Konzerte, regelmäßig Theater und Kabarett, Ausstellungen und
Kleinkunst.
Als Bürgermeister hatte Blasig erheblichen Anteil daran, dass der Ort nach der
Wende in der Flut von Rückübertragungsansprüchen, die halb Kleinmachnow
umspülte, nicht unterging. Für hunderte Restitutionsopfer wurde am Stolper Weg
eine neue Siedlung gebaut. Dass Kleinmachnow im regionalen Dreiklang mit Teltow
und Stahnsdorf die erste Geige spielt, liegt nicht zuletzt an der Dominanz des
Bürgermeisters.
Auch Blasigs Verwaltung stand oft genug im Kreuzfeuer: Sie sei behäbig und
wenig kompetent, es würden lediglich Mängel verwaltet als auf Notwendigkeiten
reagiert. Öffentlich hat sich Blasig immer vor seine Verwaltung gestellt. Er
hat sie vor den Attacken und Missbilligungen der erfahrenen Polit-Profis aus
dem Westen geschützt und seiner Rathausriege die Zeit des Umbruchs und des
Hinzulernen zugestanden. Die rasante Entwicklung Kleinmachnows seit der Wende
ist auch Blasigs Verdienst. Der eigentliche Physiker ist einer der Architekten
des heutigen Kleinmachnow, das vom Mauerblümchen zum Berliner Nobelvorort
avanciert ist. Einst Endpunkt der Republik, von drei Seiten eingeschlossen und
nur über eine Brücke zu erreichen, ist die Gemeinde heute Ziel vieler gut
situierter Familien. Kleinmachnow ist eine der kinderreichsten Kommunen
Deutschlands, ein Ort im Spannungsfeld zwischen alter Villenkolonie und
moderner, mitunter fragwürdiger Reihenhausarchitektur – Ost und West, zwischen
Tradition und Hightech. Hier die alte Hakeburg, dort eBay und
Bundesforschungsanstalt.
Nicht jedem gefällt dabei die Handschrift, mit der Blasig seinen Heimatort
mitgeprägt hat. Hartnäckig hält sich das Gerücht seiner – in vertrauter Runde –
gemachten Prophezeiung, dass Kleinmachnow unter seiner Regie mal 28 000
Einwohner zählen werde, dreimal so viel wie 1989. Vor allem die Streiter für
gute Lebensqualität in Kleinmachnow werfen ihm vor, den liebenswürdigen
Charakter des Ortes an Investoren verkauft zu haben. Zu klotzig, zu anonym etwa
ist die neue Ortsmitte mit Rathaus und Bürgersaal, Geschäften, Arztpraxen und
Wohnungen geworden, während die altehrwürdigen Kammerspiele, wo einst das kulturelle
Herz des Ortes schlug, vor sich hindümpeln. Zu wenig Fantasie, zu wenig Willen,
zu wenig Muße habe Blasig aufgebracht, um das traditionsreiche Kulturhaus zu
retten. Dabei kann er äußerst pragmatisch sein, sogar – wenn ihm eine Sache
sehr am Herzen liegt – enthusiastisch. Doch fehlt ihm das Herzblut oder gar die
persönliche Einsicht, können sich die Dinge ziehen.
Blasig ist eine Reizfigur, einer, der zum Polarisieren animiert. Seine zuweilen
stoische Gelassenheit, wenn sich Anwohner etwa über zu viel Lärm und Verkehr in
ihrer Straße aufregen, gegen Mobilfunkmasten rebellieren oder das Bauvorhaben
in den Nachbarschaft für zu groß oder überflüssig halten, brachte ihm nicht nur
einmal den Vorwurf der Arroganz ein. Selbst Blasigs enger Parteifreund und Ortsparlamentschef
Klaus Nitzsche riet dem Rathauschef, „sich mal klein zu machen und zu den
Leuten hinzugehen“. Manche erinnern dann auch gern an Blasigs politische
Anfänge im Neuen Forum und am Runden Tisch, wo der Bürgerwille noch etwas
gezählt habe. Doch Blasig interpretiert die Rolle im Chefsessel nicht immer als
ständigen Dialog mit der Bürgerschaft, sondern auch als Position, um Tatsachen
zu schaffen – manchmal nach dem Motto: Friss oder stirb. In den Jahren hat er
sich ein dickes Fell zugelegt, doch ist er nicht über alle Kritik erhaben. Er
nimmt sie durchaus an, um gleichzeitig seine Kritiker in die Pflicht zu nehmen:
Wer meckert, soll sich auch einbringen, wer etwas ablehnt, soll was anderes
vorschlagen.
Bei aller Streitbarkeit: Blasig war so etwas wie die Konstante im sich
wandelnden Kleinmachnow. Als er sich vor sieben Jahren nach Ende seiner ersten
Amtsperiode erneut zur Wahl stellte, brauchte er nur einen Urnengang, um den
beiden Mitbewerbern von CDU und Bündnisgrünen deutlich das Nachsehen zu geben.
Was die Kleinmachnower einerseits beklagen, schätzen sie an anderer Stelle:
Seine Überzeugung, sein sicheres Auftreten, seine Rhetorik, sein
Verhandlungsgeschick, seine Autorität, seine Intuition und sein strategisches
Geschick. Die Kleinmachnower wissen, was sie an Blasig - trotz aller
Differenzen - hatten. Die Mittelmärker werden ihn kennenlernen.