PNN 10.11.08
Der SPD-Landtagsabgeordnete Jens Klocksin zu Politik, Havelausbau, Stammbahn und dem "Anachronismus einer Landesgrenze"
Sie verkündeten
Ihren Rückzug aus der Landespolitik zu einem Zeitpunkt des Erfolges: Aus der
jüngsten Kommunalwahl gingen Sie in Kleinmachnow als populärster Sozialdemokrat
hervor. Sind Sie sich Ihrer Leistung und Ihrer offenbar guten politischen
Arbeit etwa nicht bewusst gewesen?
Natürlich freue ich mich über die Unterstützung für die Arbeit in der
Gemeinde. Aber das war eine andere Wahl. Seit meinem Einzug in den Landtag im
Jahr 2004 habe ich gesagt, dass ich über eine erneute Kandidatur mit der
Kommunalwahl 2008 entscheiden werde. Noch am Tag vor der Wahl wurden die
Parteigremien und die Öffentlichkeit informiert. Das hat zum richtigen
Zeitpunkt Klarheit geschaffen.
Sind Sie in der Kommunalpolitik
besser und erfolgreicher als im Landtag?
Da ich nicht erneut für den Landtag kandidiere, kann ich die
öffentliche Zustimmung nicht in Stimmen messen.
Maßstab sind vielleicht Ihre Sprechstunden als Landespolitiker. Können
Sie denen, die zu Ihnen kommen, helfen? Oder sehen Sie bei den „Sorgen des
kleines Mannes“ die Leistungsfähigkeit der Politik beschränkt?
Wenn jemand in meine Sprechstunde kommt, besucht er mich – eine reale
Person und keinen undefinierten Politiker. Ich bin der Auffassung, dass es
Moral in der Politik gibt und Politik Moral braucht. Diese definiert sich durch
die Verbindlichkeit des Gegenübers. Die Menschen haben ein sehr feines Gespür
davor, ob ihnen in gestanzten Erklärungen schon oft Gehörtes erzählt wird oder
ob es das Bemühen gibt, sich auf eine konkrete Sache einzulassen. Dabei geht es
nicht darum, Erfolg zu garantieren, sondern ob man wenigstens versucht zu
helfen. Ich sage nichts zu, was ich nicht verantworten kann. Das ist manchmal
nicht einfach, wenn der Erwartungsdruck hoch ist.
Ist man als Landespolitiker schon zu weit weg von den tatsächlichen
Sorgen und Nöten - zählt man zu „denen da oben, die vom wahren Leben keine
Ahnung haben“, wie der Volksmund oft zürnt?
Das muss nicht so sein. Die Landespolitik mag hin und wieder abstrakt
wirken. Die Themen sind weiter weg, ihre Vermittelbarkeit ist häufig nicht
einfacher. Aber dann hat der Landespolitiker die Aufgabe, seine Arbeit zu
erklären. Eine gute kommunalpolitische Erdung hilft dabei.
Hatten Sie so wenig Erfolgsmomente, dass Sie schon ein Jahr vor den
nächsten Landtagswahl erklären, nicht mehr zu kandidieren?
Ich mache meine Arbeit mit Engagement und Freude, und ich denke, das
wird auch wahrgenommen. Das Mandat eines Landtagsabgeordneten ist kein Erbhof,
sondern auf fünf Jahre befristet. Man hat also einen Zeitvertrag mit den
Bewohnern des Wahlkreises geschlossen, vor dessen Ablauf man sich fragen
sollte, ob es noch andere interessante Tätigkeitsfelder gibt. Ich möchte mich
künftig beruflich neu orientieren.
Ist die Orientierungsphase beendet?
Nein.
Wollen Sie Bürgermeister von Kleinmachnow werden?
Nein. Aber ich weiß: Man soll nie nie sagen.
Sie haben beim Einzug in den Landtag etliche regionale Wahlbausteine
mitgenommen: Es galt, den geplanten Havel- und Schleusenausbau zu verhindern
und den Wiederaufbau der Stammbahn zu befördern. Heute ist der Ausbau der
Kleinmachnower Schleuse beschlossene Sache, die Stammbahn hingegen Lichtjahre
entfernt. Sind das diese politischen Niederlagen für Sie?
Natürlich bedauere ich, dass es bislang nicht gelungen ist, im Land
Brandenburg eine Neu-Orientierung hinsichtlich des Havelausbaus zu erreichen.
Ich sehe mich hier auf einer Linie mit allen SPD-Gremien der Region sowie im
Landkreis und in der Stadt Potsdam. Wir haben eine klare Position gegen den
weiteren Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanal und den überdimensionierten Ausbau
der Kleinmachnower Schleuse.
Genau vor der Landtagswahl 2004 gab es vom damaligen SPD-Verkehrsminister
Frank Szymanski zum Ausbau der Schleuse einen Kompromissvorschlag, der in der
Folge wenig zielstrebig und konsequent verfolgt wurde. Denken Sie, dass Politik
angesichts solcher nicht erfüllten Wahlversprechen unehrlich ist?
Politik ist das Bohren dicker Bretter. Und die Bretter sind umso
dicker, je weniger der Diskussionsgegenstand im eigenen unmittelbaren
Zuständigkeitsbereich ist. Das heißt konkret: Das Verkehrsprojekt Deutsche
Einheit Nr. 17 ist eine Planung des Bundes und nicht des Landes. Dennoch
wünsche ich mir eine andere Position des Landes Brandenburg. Berlin war im
Stande, seine Wasserstraßenpolitik neu und angemessen zu definieren. Ich möchte
auch in Brandenburg einen qualifizierten Abschluss des Projektes.
Einen solchen Abschluss haben Sie als verkehrspolitischer Sprecher der
SPD-Landtagsfraktion auch gefordert. Fragt sich, welches Gewicht Ihre Funktion
hat.
Die Frage stellt sich immer, welches Gewicht man einbringen kann und ob
fachliche Kompetenz auch Akzeptanz findet. Das ändert nichts an der Tatsache,
dass immer beharrliche Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Mit einigen
Abgeordneten-Kollegen aus Potsdam-Mittelmark, Potsdam und Brandenburg/Havel
ziehe ich da an einem Strang.
Für viele Menschen in der Region, die sich die Wiedereinrichtung der
Stammbahntrasse wünschen, sind Sie ein Hoffnungsträger dieser Idee. Müssen Sie
diese Hoffnung für enttäuscht erklären?
Ich freue mich, dass sich der Landtag auf meine Initiative hin für die
Stammbahn positioniert hat. Auf die methodischen Schwächen der negativ
ausgefallenen Nutzen-Kosten-Untersuchung habe ich mehrfach hingewiesen. Aber
ich muss auch zur Kenntnis nehmen, dass die Stammbahn als Regionalbahn von den
Ländern Berlin und Brandenburg politisch nicht gewollt ist. Das ändert alles
nichts an der Tatsache, dass unsere Region keine vernünftige und eine der
Metropolennähe angemessene Schienenerschließung hat. Daher muss man über eine
Verlängerung der S-Bahn von Berlin Zehlendorf in Richtung Dreilinden
nachdenken. Dass sich die drei Kommunen der Region für eine Aufnahme des
S-Bahn-Ringschlusses und der Stammbahn in den Landesnahverkehrsplan
ausgesprochen haben, zeigt eine hohe Sensibilität für die richtige
Verkehrsorganisation. Denn gerade rund um Berlin, wo wir die höchste
Bevölkerungsdichte in Brandenburg haben, brauchen wir ein gutes ÖPNV-Niveau, um
eine suburbane Mobilität überhaupt zu gewährleisten.
In den letzten Jahren sind die drei Kommunen der Region durchaus
zusammengerückt. In der Forderung, die Region als gemeinsames Mittelzentrum und
Wachstumskern anzuerkennen, haben Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf gegenüber
dem Land gemeinsam Position bezogen. Durchsetzen konnte man die Ansprüche
allerdings nicht. Was fehlt der Region?
Wir sind weit gekommen. Die oft gescholtene Kommunale
Arbeitsgemeinschaft „Der Teltow“ (KAT, d.R.) hat mehr Potenzial als vermutet.
In den letzten Jahren hat die KAT drei wesentliche Prozesse ausgelöst: eine
einheitliche Position zur schienengebundenen Erschließung durch S-Bahn und
Stammbahn, ein Wegekonzept in der Teltowkanalaue und den Auftrag für ein
Standortentwicklungskonzept. Damit können die von Ihnen genannten Ansprüche
unterlegt werden. Aber sicherlich können wir den regionalen Auftritt gegenüber
dem Land noch optimieren.
Sie haben eine eigene Studie zur Wirtschaftkraft der Region erarbeitet
und damit gegenüber dem Land den Status der Region als Wachstumskern nachweisen
wollen. Ohne Erfolg.
Die Argumente meiner Studie „Zur Zukunft der Region“ vom November 2006
sind bei der Landesregierung durchaus angekommen. Es ist richtig, die jetzt
vorgelegte Landesplanung berücksichtigt die Region nicht angemessen. Ich
begrüße, das Teltow vom Grundzentrum zum Mittelzentrum aufgewertet wird. Klug
wäre gewesen, Teltow, Kleinmachnow und Stahnsdorf angesichts der vielen
funktionalen Aufgabenteilungen bei Daseinvorsorge, Warenangebot und
Infrastruktur zum gemeinsamen Mittelzentrum in Funktionsteilung zu machen. Der
Region den förderpolitisch relevanten Status als Regionaler Wachstumskern zu
verweigern, ist fachlich nicht begründbar. Das habe ich in meiner Studie
nachgewiesen. Ich wünschte mir mehr Nachvollziehbarkeit bei der handwerklichen
Umsetzung von Förderpolitik und Raumordnung.
Sie haben gleich zu Beginn Ihrer landespolitischen Arbeit eine Fusion von
Berlin und Brandenburg für sinnvoll erklärt und das in den vergangenen Jahren -
im Gegensatz zur Position der Landesregierung - immer wiederholt. Fehlt der
Landesspitze die Weitsicht oder denken Sie zu kurz?
Die Zwangsläufigkeit einer Fusion von Berlin und Brandenburg ergibt
sich weniger aus der politischen Präferenz als aus der finanzwirtschaftlichen
Lage der Länder. Mit Auslaufen des Solidarpaktes 2019 wird es eine grundlegend
andere Situation für die Finanzierung der Länder geben. Und die Bereitschaft
der wohlhabenden Bundesländer zu Transferleistungen sinkt. Vor diesem
Hintergrund muss man über neue räumliche Strukturen nachdenken. Ich meine, wir
werden eine völlige Neuordnung des deutschen Nordostens haben. Berlin ist und
bleibt der kulturelle Magnet und der wirtschaftliche Leuchtturm. Brandenburg
profitiert davon in erheblichem Maße. In den 18 Jahren nach der Wende hat sich
Berlin immer weiter nach außen bewegt und einen Prozess fortgesetzt, der durch
Krieg und deutsche Teilung zum Erliegen gekommen war. Es ist völlig normal,
dass sich eine Großstadt in ihr Umland ausdehnt, so wie es in zum Beispiel in
Paris oder Warschau in den vergangenen Jahrzehnten ungehindert stattgefunden
hat. Wir leisten uns aber den Anachronismus einer Landesgrenze, die im
alltäglichen Leben zwar immer weniger wahrgenommen wird, aber die gemeinsame
wirtschaftliche Entwicklung, die freie Schulwahl oder die Verkehrsplanung
hemmt. Keiner will das Debakel der Volksabstimmung von 1996 wiederholen. Aber
die Frage lautet nicht, ob die Länderfusion kommt, sondern wie: durch
Bundesgesetz oder Kraft eigener Handlungsfähigkeit.
Keine Stammbahn, dafür vielleicht eine große Schleuse. Kein regionaler
Wachstumskern, kein gemeinsames Mittelzentrum. Eine große Idee für ein
gemeinsames Bundesland, aber wenig Widerhall auf Regierungsebene. Man könnte
nachvollziehen, wenn Sie ernüchtert sind.
Berauscht sollte man auch keine Politik machen. Auch wenn ich meine
begründete und fachlich untersetzte Auffassung im Moment nicht durchzusetzen
vermag, werde ich weiter dafür argumentieren und werben. Es gibt gar keine
Alternative, aufgeben ist keine. Deshalb werde ich mich auch in Zukunft
politisch einbringen, aber ehrenamtlich!
Das Gespräch führte Peter Könnicke