PNN 09.10.08
KulTOUR
Der Kabarettist Frank Lüdecke und Kleinmachnow
Von Gerold Paul
Kleinmachnow - Als
der Kabarettist Frank Lüdecke im Potsdamer Obelisk einst „Elite für alle“
forderte, fand er viele leere Plätze vor. Ausgerechnet. Er gab trotzdem sein
Bestes. Leere Stühle sah der Kleinmachnower Bürgersaal unlängst nicht, als der
inzwischen zum „Ossi“ konvertierte Promi sozusagen vor seiner „Hauskulisse“
auftrat. Ursprünglich bekennender Berliner, zog der neue Chef der „Distel“ nach
Kleinmachnow, vielleicht, weil es dort trotz aller Anstrengungen um die Kultur
so gut nicht bestellt ist. Statt Eliten sieht er jetzt nur überall eine
„Demokratisierung der Dummheit“, die allgemeine „Verwilderung“ geht um.
Durch die Vermittlung seiner Gattin konnten dem Vielgereisten gleich zwei
abendfüllende Veranstaltungen dieses Themas abgerungen werden. Ausverkauft,
jeweils hundertneunzig Leute. Ein paar Takte Blues auf der Gitarre kündigten
seinen Auftritt an, dann Wildgeräusche aus dem Off: Hundejaulen, Bärenbrüll.
Auf die Verirrungen deutscher Seelenzustände in Politik und Gesellschaft
hinzuweisen kam gut an. Der Titel ist trotzdem seltsam, „Verwilderung“ ist ja
das beginnende Chaos jenseits von Zucht und Disziplin, da mussten gerade die
ordnungsliebenden Deutschen besonders hellhörig werden.
Ob nun Mindestlohn-Debatte,
Nokia-Strategie, Altenpflege oder die Grabenkämpfe in der SPD, für Lüdecke
macht sich überall das Chaos breit. Einen Schuldigen nannte er so wenig, wie er
das Ideal von bundesdeutscher Ordnung zu benennen wusste, sicher freilich sei,
dass Geld allein nicht unglücklich mache, die letzte Vollbeschäftigung in
Deutschland auf 1950 („Stalingrad hat eben alles verändert“) datiert und die
„Trennung von Wirtschaft und Moral“ ganz pünktlich 1989 begann. Dazu hätte sich
mehr sagen lassen.
Meist benannte Lüdecke nur, was da aus dem Ruder zu laufen scheint, mit
mehrfacher Empfehlung, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen, irgendeine
Ordnung stellt sich ohnehin wieder ein. Nur welche? „Ganz Ostdeutschland“ könnte
zum Beispiel „ein Wegzugsraum für Abwanderung“ werden, ideal für Fischotter und
Klatschmohn, ein verwildertes „Knut-Land“ in spe. Demographische Entwicklungen
würden so nur vorweggenommen, der biblische „Elischa“ fände ja schon heute in
der Lausitz „keine 42 Kinder“ mehr, die ein Bär (Off-Ton) zerreißen könnte.
Lüdecke jedenfalls sei entschlossen, beim „Erduntergang“ noch einen Baum zu
fällen, trotz Luthers „Agenda 1517“.
Olympia verwildert, die Pädagogik am Boden, die Hirnforschung tot, sogar der
Reichtum degeneriere, ähnlich den Gewerkschaften. Die Kultur. Wohin mit all den
Frustrationen, „so viele Ausländer gibt’s bei uns ja gar nicht!“ Aber wer hört
schon auf einen Kabarettisten, wenn überall „die Dummheit“ regiert. Was nützt
die deutsche „Entwicklungshilfe“ für Europa, wenn sie nicht mal zu einem
vorderen Platz beim Grand Prix führt?
„Verwilderung“ ist Lüdeckes grimmig-satirische Antwort auf die ausgebliebene
Bildungsoffensive. Da war dies bärige Off-Getöse wirklich überflüssig.
Argumentationen, Verdrehungen, Zynismen, Freude am eigenen Bonmot, Lüdecke
eben. Als ihn die vorderen Reihen mehrfach aus dem Konzept brachten, machte der
„Bärentöter“ wiederum das Beste daraus.
Etliche Zugaben auf der Gitarre, der zweistündige Kabarettabend endete mit einer
Verbeugung vor dem scheinbar so wilden Berliner, der er in Kleinmachnow wohl
lange noch bleibt.