Potsdamer Neueste Nachrichten 22.04.08
Unwirtschaftlichkeit des
Wiederaufbaus rückt die Diskussion um die S-Bahn in den Vordergrund
Potsdam - Bildlich
gesehen hatte die Veranstaltung etwas von einem Umsteigen in einen anderen Zug.
Als gestern Nachmittag im Verkehrsministerium Utz Senger seine
Kosten-Nutzen-Studie zum Wiederaufbau der Potsdamer Stammbahn als
Regionalbahnstrecke erläuterte, hatten am Ende der zweieinhalb Stunden etliche
Zuhörer einen Schwenk vollzogen: Man solle eher die S-Bahn ins südliche
Berliner Umland verlängern, als in die Reanimation der ersten preußischen
Bahnverbindung von Potsdam nach Berlin zu investieren.
Ob Zehlendorfs Baustadtrat Uwe Stäglin, Stahnsdorfs Bürgermeister Gerhard Enser
oder selbst der Kleinmachnower Hubertus Böskens von der Stammbahn-Initiative : Sie zitierten die Verlängerung der S-Bahn von
Zehlendorf über den Europarc nach Stahnsdorf – die sogenannte Friedhofsbahn –
als Alternative zur Stammbahn. Denn die gestrige Präsentation der
Wirtschaftlichkeitsstudie unterstrich das Ergebnis, zu dem die Gutachter der
Münchner Intraplan Consult GmbH gekommen waren: Volkswirtschaftlich ist der
Wiederaufbau der Stammbahn nicht vertretbar. Auch wenn Brandenburgs
Verkehrs-Staatssekretär Rainer Brettschneider betonte, dass die Gutachter
lediglich die Frage beantworteten, ob der Bund nach seinen Regeln das Projekt
finanzieren könne und das resolute Kopfschütteln nicht das endgültige Aus für
die Idee bedeuten möge, spricht das Resultat eine klare Sprache. Mit einem
Kosten-Nutzen-Indikator von 0,64 ist das Stammbahnprojekt „Lichtjahre“ (Senger)
von einer Finanzierung durch den Bund entfernt. Der beginne erst bei einem
Indikator von 1,0, überhaupt über eine Investition nachzudenken. Aber selbst
bei einem Wert von 1,1 wäre das Vorhaben weiter kritisch zu hinterfragen, denn
für den Betrieb der Strecke müssten Berlin und Brandenburg jährlich 1,2
Millionen Euro an die Deutsche Bahn überweisen.
Der Bedarf ist da. Täglich würden
zwischen Griebnitzsee und Europarc Dreilinden 8200 Fahrgäste unterwegs sein,
von Düppel nach Zehlendorf sind 10 400 und weiter bis zum Potsdamer Platz 13
800 Passagiere prognostiziert. Aber die Kosten, die die Deutsche Bahn in einer
Machbarkeitsstudie ermittelt hat, zuzüglich Planungsleistungen, sind mit 157,7
Millionen Euro enorm hoch. Den jährlichen Nutzen der Stammbahn haben die
Gutachter mit 4,38 Millionen Euro beziffert. In die positive Bilanz fallen die
Abnahme des Pkw-Verkehrs, weniger Unfallschäden und eine kürzere Reisezeit.
Doch der Aufwand, um das ÖPNV-Angebot auf der Strecke zu bewirtschaften sowie
die Emissionsbelastung führen zu jährlichen Kosten von 6,82 Millionen Euro. Für
den Bund eine unwirtschaftliche Rechnung.
Selbst bei anderen Rahmenbedingungen und günstigeren Prognosen, „wird man zu
keiner anderen Konsequenz kommen“, so Senger. Justiere man die Stellschrauben
nach, die nach Meinung von Christfried Tschepe vom Fahrgastverband „immer zu
Lasten der Stammbahn“ führen, werde der Nutzen-Kosten-Indikator von 1,0 noch
immer nicht erreicht. Auch bei anderen Rahmenbedingungen, anderem
Fahrzeugeinsatz, einer anderen Siedlungsstruktur, mehr Einwohnern und
Arbeitsplätzen und einem anderen Betriebskonzept wäre bei den hohen
Investitionskosten noch immer keine Wirtschaftlichkeit gegeben. Da sei es
marginal, ob man für den Europarc, dessen Betreiber auf einen Bahnanschluss
setzen, im Jahr 2015 von 4500 oder 6000 Arbeitsplätzen ausgehe.
„Ich sage nicht, dass die Stammbahn Unfug ist“, betonte Senger. Sie ist nur zu
teuer. Für Zehlendorfs Baustadtrat Stäglin steckte hinter dem Resümee der
Auftrag zu untersuchen, „wie man dennoch Bahnverkehr auf die alte Trasse
bekommt“. Für einige war dies das Startsignal für die S-Bahn-Debatte. P.
Könnicke