Potsdamer Neueste Nachrichten 01.03.08

 

Stammbahn bleibt Geschichte

Der Wiederaufbau lohnt sich nicht / Enttäuschung bei den Befürwortern, Bestätigung bei Gegnern

Von Peter Könnicke

Kleinmachnow/Potsdam - Für die Stammbahn wird nun doch kein Startsignal ertönen. Der 175 Millionen Euro teure Wiederaufbau der ersten preußischen Bahnverbindung zwischen Potsdam und Berlin rentiert sich nicht. Zu diesem Ergebnis kommen die Gutachter der Intraplan Consult GmbH. Die Münchner haben im Auftrag der Länder Berlin und Brandenburg das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer Wiedereinrichtung der Strecke untersucht und dabei einen Faktor von lediglich 0,7 ermittelt. Erst bei einem Mindestwert von 1,0 halten sich Kosten und Nutzen die Waage.

Damit ist klar: Die Region Teltow wird keine weitere Schienenanbindung bekommen. Dreilinden und Düppel, die an der still gelegten Stammbahntrasse liegen und als mögliche Haltepunkte galten, bleiben beim Status quo.

Die Reaktionen auf die Nachricht sind unterschiedlich. Von einer „Katastrophe“ spricht Walter Brümmer, Geschäftsführer im Europarc Dreilinden. Der Gewerbepark gilt als attraktiver Standort, die Europazentrale von eBay hat hier unter anderem ihren Sitz. Seine Auslastung hat das Areal jedoch noch lange nicht erreicht, die Kapazität des Europarcs ist auf 6000 Arbeitsplätze ausgelegt, derzeit arbeiten hier etwa 1600 Beschäftigte. Der erhoffte Gleisanschluss des Europarcs ist bislang wichtiges Argument für die Vermarktung gewesen. „Wir haben die Wiedereinrichtung der Stammbahn eingeplant und fest damit gerechnet“, so Brümmer gestern gegenüber den PNN. Die Europarc-Gesellschaft hatte im vergangenen Jahr sogar eine eigene Wirtschaftlichkeitsberechnung für die Stammbahn und deren volkswirtschaftliche Bedeutung in Auftrag gegeben. Untersucht wurden mehrere Infrastruktur- und Betriebsvarianten zur Anbindung des Europarcs. Das Ergebnis unterscheidet sich deutlich vom aktuellen Gutachten: „Wirtschaftlichste Variante ist eine vollständige Wiederinbetriebnahme der Stammbahn“, resümierten die Gutachter damals. Dadurch würde sich zudem das „Nachfragepotenzial“ erhöhen, weshalb die Stammbahnstrecke „zu den nachfragestärksten Regionalbahnlinien in Berlin-Brandenburg gehören wird“, so die vom Europarc engagierten Gutachter. Diese Ermutigung passt so gar nicht zu der nunmehrigen Erkenntnis, so dass Brümmer vermutet: „Der Input ist wohl nicht korrekt“, dem aktuellen Gutachten können nicht alle relevanten Daten zugrunde liegen.

Das glaubt auch Jens Klocksin. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und Stammbahn-Befürworter hält die Studie für unvollständig. Zumindest war sie das noch Mitte Dezember vergangenen Jahres, als die Planer ihre Ergebnisse in interner Runde erstmals präsentierten. „Handwerkliche Fehler“ bemängelte Klocksin in dem zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Papier. So seien die für Berlin und Kleinmachnow prognostizierten Bevölkerungszahlen für 2015 bereits schon jetzt erreicht. Auch sei das zugunde gelegte Regionalbahnkonzept fehlerhaft gewesen. Sollte das Ergebnis auf diesen Ausgangswerten beruhen, bedürfe es einer Korrektur, so Klocksin.

In dem Münchner Planungsbüro erklärte man gestern gegenüber den PNN, dass inzwischen der Abschlussbericht der Untersuchung vorliege. Im brandenburgischen Verkehrsministerium werde die Studie in der kommenden Woche erwartet, so Sprecher Lothar Wiegand. Das Ergebnis werde transparent dargestellt und öffentlich präsentiert.

Beim Aktionsbündnis Stammbahn, das seit Jahren gegen die Reanimation der Trasse kämpft, fühlt sich Peer Hartwig bestätigt. Wäge man frei von allem Emotionen das Für und Wider ab, könne man nur zu einem Ergebnis kommen, so Hartwig: „Die Stammbahn bringt nichts.“

Das Stammbahn-Projekt war in der Vergangenheit regelmäßig Gegenstand parlamentarischer Anfragen und Beschlüsse sowie politischer Statements. Bereits vor Jahren verabschiedete die Kleinmachnower Gemeindevertretung eine Willenserklärung zum Wiederaufbau der Bahntrasse. Die Regionale Arbeitgruppe „Der Teltow“ verfasste ein Plädoyer die Bahn. Brandenburgs Landsregierung nahm die Trasse in den aktuellen Nahverkehrsplan auf. Das Land Berlin signalisierte indes bereits vor einigen Jahren vorsichtig den Rückzug: Bis 2010 werde man auf gar keinen Fall Geld für Stammbahn haben. Die Deutsche Bahn AG hat zwar immer auf die Länder Berlin und Brandenburg verwiesen, die den Bau und Betrieb der Strecke hätten bestellen müssen. Vorsorglich ließ sie vom Bund beim Bau des Tiergartentunnels aber eine Spur zur Ausfädelung der Stammbahn bauen. Das Geld – 26 Millionen Euro – muss die Bahn AG zurückzahlen, wenn die Stammbahn nicht kommt.

Potsdamer Neueste Nachrichten 01.03.08

 


DIE STAMMBAHN

Es war der erste Zweig, der Stamm, des preußischen Eisenbahnnetzes – daher der Name Stammbahn. Am 22. September 1838 war die Jungfernfahrt von Griebnitzsee nach Zehlendorf. Die Sprengung der Teltowkanalbrücke im April 1945 führte zur Einstellung des Betriebes auf der 9,8 km langen Strecke zwischen Zehlendorf und Griebnitzsee. Als Reparationsleistung entfernte man danach beide Gleise zwischen Griebnitzsee und Düppel, sowie das südliche Gleis von Düppel nach Zehlendorf. Bis zum Mauerbau verkehrte auf der Trasse zwischen Zehlendorf und Kleinmachnow die S-Bahn. Endgültig still gelegt wurde die Trasse 1980. Nach den Wiederaufbauplänen sollte die Bahn vom Potsdamer Platz über Zehlendorf und den Europarc nach Potsdam fahren. pek