Potsdamer Neueste Nachrichten 31.12.07
Eine Geschichte zum Jahreswechsel, wie sie in Wirklichkeit nie stattfinden würde.
Der Hubschrauber
kreiste schon eine ganze Weile über dem Ort. Er näherte sich von Zehlendorf,
überflog Kleinmachnow, machte eine Schleife über dem Griebnitzsee, um dann
wieder zurückzukommen. Wolfgang Blasig stellte die Tasse ab und ging ans
Küchenfenster, um den Hubschrauber zu beobachten.
„Was will der hier?“, fragte sich Blasig. Er konnte sich daran erinnern, dass
schon einmal so ein Helikopter ständig über Kleinmachnow gekreist war. Damals
wollten sie im Ort einen Baumarkt ansiedeln, ein total innovatives Ding, wo
Autos durchfahren könnten, so ähnlich wie bei McDonalds, wo man an der Einfahrt
seine Bestellung abgibt, sich die Burger und Pommes durchs Fenster reichen
lässt und wieder losfährt. Kurz nach dem Hubschrauber-Rundflug hatten die vom
Ministerium damals den Baumarkt abgelehnt. „Wir haben uns nochmals einen
Überblick verschafft …“, haben die lakonisch geschrieben. „Wir sind zu der
Überzeugung gekommen, dass ein Baumarkt in Kleinmachnow den Zielen der
Landesplanung widerspricht", hieß es in dem Bescheid. Argwöhnisch lauschte
Blasig dem Brummen am Himmel: „Blöde Landesplanung!“
Auf dem Frühstückstisch vibrierte das
Handy. „Unbekannte Rufnummer“ stand auf dem Display. Blasig überlegte kurz, ob
er rangehen sollte. Schließlich war es Silvester, da kann man ja auch gern mal
seine Ruhe haben. Schließlich nahm er ab.
„Blasig!“
„Wolfgang!“, hechelte es am anderen Ende, „Thommy hier. Hörst du das auch?“
„Was?“
„Na den Hubschrauber.“
„Ja. Keine Ahnung, was da los ist.“
„Das ist bestimmt Brad Pitt.“
„Wer?“
„Na Brad Pritt. Der mit der Angelina Jolie.“
„Wieso?“
„Na die wollen doch hierher ziehen und suchen jetzt nach Grundstücken.“
„Wo will der hinziehen?“
„Also, hier steht: Brad Pitt und Angelina Jolie erwägen einen Umzug ins
Berliner Umland.“
„Wo steht das?“
„In der Vanity Fair.“
„Ist doch wieder so'n Schundblatt, wa?“
„Nee, Wolfgang, das ist Hochglanz. Da stand neulich auch drin, dass Wowereit
der Kanzler der Herzen ist und bald Kanzlerkandidat wird – zumindest im Osten.“
„Wird er aber nicht.“
„Woher willst du das denn wissen.“
„Ich weiß das eben.“
„Hm. Da stand aber auch drin, dass der Sarkozy in Frankreich eine Geliebte hat.
Und jetzt hat man ihn tatsächlich mit der erwischt.“
„Das hab ich auch gehört.“
„Genau. Und da oben fliegt Brad Pitt.“
Eine Stunde später trafen sich Kleinmachnows Bürgermeister Wolfgang Blasig und
sein Teltower Amtskollege Thomas Schmidt in der Aral Tankstelle an der
Spanischen Allee in Berlin-Wannsee. Hier kannte sie keiner. Hier, am
Aral-Stehtisch, war es unverfänglich genug, um zu beraten, was zu tun ist,
damit die Hollywood-Stars Brad Pitt und Angelina Jolie an den Teltowkanal
ziehen. Es wären nicht die ersten Schauspieler, die sich hier niederlassen
würden. Kleinmachnow ist bekannt als Künstlerkolonie. Schauspieler, Regisseure,
Schriftsteller, Komponisten, Sänger - die ganze Zunft war und ist hier zu
Hause. Deshalb dachte Blasig daran, dem Management von Brad Pitt ein Dossier zu
schicken, in dem die ganze Kleinmachnower Künstlerprominenz aufgelistet ist.
„Die sollen sehen, dass sie sich in guter Gesellschaft befinden“, meinte er zu
Schmidt. Der blickte irritiert.
„Moment, wer sagt denn, dass die nach Kleinmachnow ziehen?“
„Na wohin denn sonst?“, fragte Blasig. „Nach Teltow etwa? Vielleicht neben euer
Holzheizwerk, wa. Diese Räucherbude. Das gibt sowieso noch Ärger. Es sei denn
…" Blasig brachte den Satz nicht zu Ende und grinste.
Schmidt neigte den Kopf etwas zur Seite. „Erpressen lass ich mich nicht, dass
das klar ist.“
Blasig bohrte den Finger durch die Luft: „Nee du, nicht immer nur Teltow.
Teltow hier, Teltow da. Jetzt sind wir mal dran. Außerdem haben wir alles, was
die Familie Pitt braucht: internationale Schule, Waldorf-Kita, Tennisplätze,
Autobahnanschluss, Weinkontor, Edel-Italiener, Schwimmbad.“
„Das Schwimmbad gehört uns allen“, sagte Schmidt.
„Ha", machte Blasig, „auf einmal, wa. Ewig rumgängeln und knausern, wenn
es um ein bisschen Kohle fürn neues Planschbecken geht. Aber jetzt, ja, wo
Angelina Jolie dort baden geht, da wollt ihr plötzlich dabei sein. Nee, nee.
Das machen wir jetzt schön allein weiter. Und die Pitts kriegen eine
Dauerkarte, jedes Jahr.“
„Und was ist mit einem Hubschrauberlandeplatz?“, fragte Schmidt. „Promis
brauchen so etwas.“
Daran hatte Blasig auch schon gedacht. Schon auf der Fahrt zur Tankstelle hatte
er deswegen zwei Telefonate geführt. Eigentlich wollte er den Stahnsdorfer
Bürgermeister anrufen, aber der war nicht zu erreichen. Dann hat er mit Peter
Weiß von der Stahnsdorfer CDU gesprochen. Von dem wollte er wissen, wie die
Dinge um das kleine Waldstück stehen, das mitten im Ort liegt und das die
Besitzer gern abholzen und bebauen wollen. Da könnte man doch auch gut und gern
einen Landeplatz für Helikopter anlegen, hatte Blasig gemeint. Er könne nicht
sagen, ob das eine gute Idee ist, meinte Weiß. Aber wenn es dazu kommen sollte,
wüsste er jemanden, dem Brad Pitt den Auftrag für die Plattform geben könnte.
„Oder wenigstens für den Beton.“ Das wüsste er auch, hatte Blasig erwidert.
Dann hatte Blasig den Eigentümer der Buschgrabenwiesen angerufen. Die liegen
direkt an der Grenze zwischen Kleinmachnow und Berlin und wären ideal für einen
Hubschrauberlandeplatz. Früher stand hier die Mauer. Inzwischen ist eine Menge
Gras gewachsen. Die Grünen nennen es pathetisch eine „Wiesengesellschaft“ und
die bescheidene Ansammlung von Bäumen bezeichnen sie euphorisch als Biotop. Sie
reden von einer Frischluftschneise, tatsächlich leidet man zwischen Frühjahr
und Spätsommer wegen des Pollenflugs ständig an Asthmaanfällen, so dass man
überhaupt keine Luft kriegt. Das Ortsparlament hatte die Wiesen gerade zu
Bauland erklärt. Eigentlich ist es egal, ob da nun eine Häusersiedlung oder ein
Heli-Parkplatz gebaut wird, dachte Blasig. Und wenn man die Betonplatte grün
anmalt, kriegt man bestimmt die Grünen wieder beruhigt, die wegen der geplanten
Häuser totalen Stress machen. Und so oft würden Brad und Angelina ja auch nicht
mit dem Hubschrauber einfliegen, so dass die ganze Idee recht verträglich
erschien. Blasig und der Eigentümer der Flächen hatten sich für die nächste
Woche in einem französischem Restaurant verabredet, um die Sache im Detail zu
besprechen.
„Alles schon in die Wege geleitet“, antwortete Blasig lässig auf Schmidts Frage
nach dem Landeplatz. Der hatte sich inzwischen vom Areal-Buffet eine Bockwurst
gekauft und versuchte krampfhaft, die Senftüte zu öffnen.
„Ich frage mich", sagte Schmidt und spukte einen kleinen Plastikfetzen der
Senfverpackung aus, „ich frage mich, wie das abläuft? Schickt der Brad Pitt
einen Immobilienmakler her oder was?“
„Keine Ahnung“, sagte Blasig. „Vielleicht sollte ich eine Initiativbewerbung
machen.“
In seinem Brief an Brad Pitts Management würde er neben der Traditionslinie
hier beheimateter Künstler die Vorzüge des Ortes preisen. Er würde
Kleinmachnows Familienfreundlichkeit erwähnen, über die Bemühungen um den
Wiederaufbau der Stammbahn informieren, mit der die Pitts auch mal bequem bis
zum Potsdamer Platz fahren könnten. Er würde mit der erstklassigen Lage der
hiesigen Grundstücke werben und versichern, dass man bei den Bedürfnissen des
prominenten Paars gern bereit ist, die Dinge wachsen zu lassen.
„Ja, das klang gut“, dachte Blasig. Er würde Brad und Angelina die
Ehrenmitgliedschaft im Tennisclub 1961 und in der Ortsgruppe des Deutschen
Alpenvereins anbieten. Schließlich hat Brad Pitt in „Sieben Jahre in Tibet“ eine
österreichischen Bergsteiger gespielt, so dass eine Mitgliedschaft im
Alpenverein eine nahe liegende Sache wäre. Vielleicht war es auch keine
schlechte Idee mal bei den Film-Heinis in Babelsberg anzurufen und zu fragen,
ob die ihn beim nächsten Berlinale-Empfang nicht eine Einladung schicken. Da
könnte man mit Angelina und Brad mal persönlich reden.
„Vielleicht sollten wir mal zur Berlinale fahren“, sagte Thomas Schmidt in
diesem Moment.
„Was willste denn da?“
„Ideen sammeln. Ich würde mir ganz genau angucken, wie das abläuft und dann
würde ich ein eigenes regionales Filmfestival machen. Dann kommen die ganzen
Hollywood-Freunde von Brad Pitt.“
„Und wo soll das sein?“
„Na im TechnoTerrain. Sollen die doch in ihren ollen Altstadthöfen Ringelpietz
mit Anfassen machen. In der Oderstraße gibt’s dann aber großes Kino mit James
Bond und Limousinen und Bodyguards.“
„Du spinnst“, sagte Blasig.
Sie wollten gerade gehen, als sie draußen an der Zapfsäule Stahnsdorfs
Bürgermeister Gehard Enser sahen.
„Mist“, sagte Schmidt, „jetzt hat er uns erwischt.“
Doch Enser schien gar nicht irritiert, seine beiden Kollegen Silvestervormittag
in einer Tankstelle zu treffen. Er wirkte völlig euphorisch.
„Leute“, rief er ihnen zu, „ich hab heut morgen was total Irres gemacht. Hat
mir meine Frau zu Weihnachten geschenkt.“
„Was denn?“, fragten Schmidt und Blasig gleichzeitig.
„Nen Hubschrauberrundflug. Ich sag euch, von oben sieht das alles total anders
aus.“
„Ach“, machte Schmidt.
„Ja, wie im Film.“