Potsdamer Neueste Nachrichten 14.11.07

 

Vier Tage im November

Heute vor 18 Jahren wurde in Teltow die Grenze nach Steglitz geöffnet – Bernd Blumrich hat es fotografiert

Von Peter Könnicke

Teltow/Kleinmachnow - Das Gesicht ist leicht angespannt, der Blick geradeaus auf ein Ziel fixiert, der Mund leicht verzerrt. Eine ausholende Armbewegung, ein Schritt nach vorn. Eine Momentaufnahme.

Es war heute vor 18 Jahren, als Teltows damaliger Bürgermeister Manfred Graulich kurz vor 8 Uhr die Philipp-Müller-Allee Richtung Steglitz entlang schritt, den in drei Tagen zuvor eilig geschaffenen Grenzübergang passierte und auf West-Berliner Seite von seinem Amtskollegen Klaus-Dieter Friedrich begrüßt wurde. Der Kleinmachnower Fotograf Bernd Blumrich hat diesen Moment eingefangen – so wie viele Augenblicke der Wendezeit. In seinem Buch „Linienuntreue“, das in diesem Jahr im Lukas-Verlag erschien, summieren sich die Momentaufnahmen zu einer Dokumentation jener Wochen, die von Aufbruch und Durchbruch, von Anarchie, Hoffnung und Angst, Träumen und Zweifeln bestimmt waren.

Im Kapitel „Grenzübergang Teltow-Seehof“ erzählt Blumrich in 26 Bildern die viertägige Geschichte der Grenzöffnung – dort, wo sich Ostpreußendamm und die heutige Lichterfelder Allee treffen. Eher zufällig bekam Blumrich die ungewöhnlichen Aktivitäten mit, die sich dort am Grenzzaun abspielten. Auf Westberliner Seite standen dort am 11. November zwei Polizeiautos, auf Teltower Seite wurden immer mehr Neugierige angelockt, als sich der Streckmetallzaun einen Spalt breit öffnete. Am Tag zuvor, einen Freitag, war Bürgermeister Manfred Graulich vom Rat des Innern informiert worden, dass am 14. November der Grenzübergang eröffnet werden soll.

Wie Kalenderabrisse lassen sich Blumrich Fotos aus diesen vier Tagen betrachten: die Polizeiautos; der Menschenauflauf vor dem Zaunspalt; die Grenzer, die mit Absperrband das Territorium der DDR markieren; die Westberliner, die auf Steglitzer Seite Erde von der alten Pflasterstraße schaufeln, die mehr als ein Vierteljahrhundert nicht benutzt worden war.

Blumrich war fasziniert vom Tempo und der Leichtigkeit dieser Tage. „In vier Tagen entstand eine Straße, die Jahrzehnte gesperrt war. Gehen Sie heute mal zum Straßenbauamt mit der Idee, eine Straße zu bauen!“ Blumrich fühlte, etwas Unglaubliches festzuhalten. Es gibt Fotos von gewaltigen Augenblicken dieser Zeit, Aufnahmen, die um die Welt gingen. Blumrich hat, wenn es in diesen Wochen überhaupt so etwas gab, den Alltag festgehalten – in schwarz-weiß: Versammlungen, Kundgebungen, Gesichter vor Mikrofonen, Bauarbeiten, Soldaten, Straßen und Plätze, graue, triste Grenzanlagen. 2000 bis 3000 Negative hat Blumrich produziert. Tagsüber ist er von einem Termin zum nächsten, nachts hat er Filme entwickelt und sich mit Freunden die Bilder angesehen. Geschlafen hat er wenig. „Das war die Motorik,“ erinnert er sich. Als der Materialberg wuchs, wurde ihm der dokumentarische Wert seiner Aufnahmen für spätere Generationen klar. Zu Geld hat er die Fotos nie gemacht. Zum 10. Jahrestag des Mauerfalls „hab ich die Bilder zum ersten Mal rausgeholt“ – für eine Ausstellung in seinem Kleinmachnower Fotogeschäft. 15 Jahre nach dem Mauerfall war die Ausstellung etwas größer. Und Manfred Stolpe war da, der befand, dass die Aufnahmen publiziert und nicht wieder ins Archiv gehören. Da entstand die Idee für das Buch.

Am 14. November 1989 fotografierte Bernd Blumrich an der Teltower Philipp-Müller-Allee, wie Grenzsoldaten mit frischer weißer Farbe die Demarkationslinie auf den frei geschaufelten Asphalt ziehen, um zu zeigen, wo die Grenze – noch immer – ist. Kurz darauf will ein Grenzoffizier auf DDR-Seite verbieten, dass weiter fotografiert wird. Blumrich zeigt ihm eine Sondererlaubnis des Ministeriums für nationale Verteidigung, die er im Sommer 1989 erhalten hatte, um in dem Grenzort Dreilinden Fotos für Postkarten zu machen. Die Genehmigung ist zwar abgelaufen, doch der Offizier liest mit einem flüchtigen Blick nur den Briefkopf und lässt Blumrich weiter fotografieren. Und so hält er fest, wie sich unbewaffnete Grenzer an der frischen weißen Linie aufstellen und unweigerlich das Transparent zu lesen bekommen „Willkommen im Bezirk Steglitz“. Er hält die Teltower Delegation fest, angeführt von Bürgermeister Graulich, begleitet vom Kommandanten des Grenzübergangs, vom SED-Ortsparteisekretär, einem Ratsmitglied für Verkehrswesen und einem Vertreter des Rates des Innern. Er fotografiert Fotografen, die Menschenmenge, die kurz darauf ein Volksfest entfachen wird, Schulkinder, die wohl nicht pünktlich zum Unterricht kommen werden.

Blumrich hat die Wende in ihrer autenthischen Erlebbarkeit fotografiert. Bilder, wie die aus Teltow, gibt es auch aus Kleinmachnow und vor allem aus Potsdam. Im Sommer 1990 hörte Blumrich auf. „Die Wende war erledigt“, sagt er. „So wie es nach dem Tag Abend wird, war es normal geworden.“ Die D-Mark, war da, die SDP war inzwischen die SPD, das Neue Forum saß nicht mehr in der Kirche, sondern in Büros. „Das Wendegefühl ging verloren“, meint Blumrich. Termine wurden wieder offiziell und „es gab wieder Gesetze“. Das, was den Wendeherbst so atemlos machte, begann eine Ordnung zu bekommen. Blumrich ging das Motiv verloren.

Die Fotografien, die Bernd Blumrich zwischen 11. und 14. November am Grenzübergang Teltow-Seehof gemacht hat, sind bis zum 31. Dezember in der

Tourist Information Teltow, Potsdamer Straße 57, wochentags von 10 bis 18 Uhr zu sehen.