Potsdamer Neueste Nachrichten 07.09.07
STIBB begleitet Kinder und Familien in Strafverfahren bei Sexualdelikten
Kleinmachnow - Steve*
ist gut drauf. Vor ein paar Tagen hat er seine Lehre begonnen – auf dem EDU.CON-Privatschulcampus
in Potsdam wird er zum Beikoch ausgebildet. „Die lassen mich sogar schon Gemüse
schneiden“, sagt Steve begeistert.
Steve weiß eigene Erfolge einzuschätzen. Er hat gelernt, dass eigenes Zutrauen
und Mut ihn stark machen. Der 18-Jährige hat zwei Gerichtsprozesse durchgestanden
und ein halbes Dutzend Gutachten über sich ergehen lassen – als Opfer, das seit
seinem dritten Lebensjahr sexuell missbraucht wurde.
Mit Hilfe der Fachkräfte des
Sozial-Therapeutisches Instituts Berlin Brandenburg (STIBB) hat Steve das
Strafverfahren durchgehalten. Seit 15 Jahren leistet die in Kleinmachnow
ansässige Hilfs- und Beratungsstelle Kinder- und Opferschutz bei sexuellem
Missbrauch, schwerer körperlicher Gewalt sowie extremer Vernachlässigung. 4849
Einzelfälle sind seit 1993 dokumentiert. Die Begleitung von kindlichen
Opferzeugen im Strafverfahren bei Sexualdelikten war schon in der Vergangenheit
ein Teil der STIBB-Arbeit. Weil Brandenburgs Justizministerin Beate Blechinger
(CDU) Wert und Bedeutung dieser Hilfe erkannt hat, fördert ihr Haus das Projekt
der Opferhilfe für die kommenden zwölf Monate mit knapp 40 000 Euro. Das
ermöglicht zwei STIBB-Mitarbeiter, sich auf die Begleitung kindlicher
Opferzeugen zu konzentrieren. Das Angebot: telefonische und persönliche
Informations- und Beratungsgespräche für Opfer und Familien, Betreuung bei
Vernehmungen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, Begleitung zu
Rechtsanwälten, Ärzten und Gutachtern, kindgemäße Vorbereitung auf
Gerichtsverhandlungen, Begleitung zur Zeugenaussage und zur Hauptverhandlung,
Nachsorge und bei Bedarf Vermittlung weiterer Hilfen.
„Um Täter zu stoppen und zu bestrafen, braucht man starke und glaubwürdige
Zeugen“, so Justizministerin Blechinger bei ihrem Besuch des STIBB-Sommerfestes
am Mittwoch. Angst und Einschüchterung lassen vor allem Kinder schweigen über
das, was ihnen angetan wurde. Aber auch Eltern bleiben oft aus Scham stumm,
leugnen Missbrauch, wenn er in der eigenen Familie passiert, oder wollen ihn
nicht wahrhaben. Auch hier bietet das STIBB Hilfe, Beratung und Kooperation an.
Zwar gebe es eine wachsende Sensibilität bei Ermittlungsbehörden wie Polizei
und Staatsanwaltschaft bei der Vernehmung von kindlichen Opfern bei
Sexualdelikten. Doch durch die Expertise und Erfahrung der STIBB-Pädagogen
verspreche sich Blechinger Hilfe bei der oft ohnehin schwierigen Beweisführung.
„Schließlich kann ein Richter nur urteilen, wenn Beweise vorliegen.“
Steve kam vor drei Jahren ins STIBB, wo er qualifizierte und verlässliche
Ansprechpartner gefunden hat. Sie nahmen ihm Ängste, Ohnmachts- und Schamgefühle.
Sie machten ihn stark, so dass seine Aussagen vor Gericht zur Verurteilung
führten und seine Geschwister aus dem peinigenden Umfeld befreit wurden.
„Besonders das Gefühl, auch anderen geholfen zu haben, hat ihm Selbstvertrauen
gegeben“, sagt STIBB-Leiterin Annelie Dunand. Steve ist zur Hälfte blind. Das
wird bleiben. Doch die seelischen Wunden heilen langsam. Auch seiner
Lernbehinderung, Ursache des jahrelangen Missbrauchs, wird Steve mit einem
Gefühl der Stärke begegnen. Sein Gang in den Zeugenstand des Gerichts war sein
ganz persönlicher Befreiungsschlag. „Das hilft abzuschließen“, so Dunand.
Steves Perspektive: „Mit 25 Jahren kann der Junge selbständig leben.“ Peter Könnicke
* Name geändert